EDV-Systemberater, Freiberufler, Voraussetzungen: Weist ein Steuerpflichtiger, der über keinen Abschluss an einer (Fach-)Hochschule oder Bergakademie verfügt und als Systemberater auf dem Gebiet der elektronischen Datenverarbeitung selbständig tätig ist, nicht nach, dass er in Breite und Tiefe das Wissen eines Diplom-Informatikers hat, ist er gewerblich tätig. Vertiefte Kenntnisse auf einem Teilgebiet des Fachstudiums reichen für eine freiberufliche Tätigkeit nicht aus. - Urt.; BFH 18.4.2007, XI R 29/06; SIS 07 28 45
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte
(Kläger) bildete sich nach Abschluss der mittleren Reife und
dem anschließenden Besuch einer kaufmännischen
Privatschule seit 1972 kontinuierlich auf dem Gebiet der
elektronischen Datenverarbeitung (EDV) fort. Seine Kenntnisse
für verschiedene Positionen im EDV-Bereich mit
Tätigkeitsschwerpunkten im Bereich Datenbankadministration,
Datenbankdesign, Systemprogrammierung, Projektleitung,
Rechenzentrum-Untersuchung, Anwendungsdesign und
Anwendungsentwicklung erwarb er neben dem Selbststudium durch die
Teilnahme an diversen Seminaren.
Im Jahr 1997 beendete er seine
nichtselbständige Tätigkeit und war in den Streitjahren
1998 und 1999 für die A-GmbH mit der Planung, Konstruktion und
Überwachung von IT-Projekten bei Betrieben und der
öffentlichen Verwaltung befasst. Seine Tätigkeit umfasste
die Installation verschiedenartiger SAP-Systeme, die Korrekturen
von SAP-Systemen, die Einweisung und Beratung von
Systemprogrammierern/Systemtechnikmitarbeitern in die
DB2-Datenbankadministration, die Einrichtung und Verwaltung von
allgemeinen DB2-Systemen, den Releasewechsel/Upgrade von
DB2-Systemen, die Performance-Analyse und das Tuning von
DB2-Systemen, die Unterstützung der Anwendungsentwicklung bei
der Durchführung von Optimierungsmaßnahmen, die
Erstellung standardisierter Sicherungs- und
Wiederherstellungsverfahren und die Anpassung von
DB2-Systemparametern/DB2-Systemdateien an die aktuellen
Erfordernisse.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) behandelte die vom Kläger erzielten Gewinne
als solche aus Gewerbebetrieb und erließ für die
Streitjahre u.a. Bescheide über den Gewerbesteuermessbetrag.
Hiergegen legte der Kläger erfolglos Einspruch ein.
Im anschließenden Klageverfahren
erhob das Finanzgericht (FG) Beweis durch Einholung eines
Sachverständigengutachtens zu der Frage, ob die berufliche
Tätigkeit des Klägers als selbständiger EDV-Berater
im Gesamtbild oder in einem abgrenzbaren Tätigkeitsbereich
derjenigen eines an einer Fachhochschule oder wissenschaftlichen
Hochschule ausgebildeten Diplom-Informatikers entsprach und somit
als freiberufliche Tätigkeit zu qualifizieren ist. Der
Sachverständige gelangte zu dem Ergebnis, dass zwar nach den
vorgelegten Unterlagen ein Vergleich mit den gesamten Kenntnissen
eines Diplom-Informatikers (FH) wegen Fehlens insbesondere der
mathematischen und hardwaretechnischen Komponenten nicht
möglich sei. Jedoch sei mit guter Gewissheit davon auszugehen,
dass die methodischen und praktischen Kenntnisse des Autors der
analysierten Software und Unterlagen in dem abgegrenzten Fachgebiet
„Systemsoftware-Technologie“ mindestens dem Stand eines
Absolventen eines Studienganges Diplom-Informatik (FH)
entsprächen. Daraufhin hob das FG die Bescheide über den
Gewerbesteuermessbetrag auf. Das im Studium der Informatik
erworbene Grundlagenwissen sei für die steuerrechtliche
Qualifikation eines Diplom-Informatikers nicht ausschlaggebend; das
gelte dann auch für einen Autodidakten (EFG 2006, 1324 = SIS 06 32 34).
Das FA rügt mit seiner Revision
Verletzung des § 18 des Einkommensteuergesetzes (EStG). Ein
ähnlicher Beruf im Sinne dieser Norm liege nur vor, wenn der
Steuerpflichtige über eine vergleichbare Ausbildung
verfüge, wie vom jeweiligen Katalogberuf vorausgesetzt. Zwar
sei der erfolgreiche Abschluss einer für einen Katalogberuf
vorgesehenen Ausbildung nicht unbedingt notwendig. Dann müsse
aber der Steuerpflichtige nachweisen, dass er über eine
Vorbildung mit vergleichbarer Tiefe und Breite verfüge und der
Schwerpunkt der Arbeit in einer derart qualifizierten
Tätigkeit liege. Es sei unstreitig, dass der Kläger nicht
über die gesamten Kenntnisse eines Diplom-Informatikers (FH)
verfüge.
Entgegen der Auffassung des FG
schlössen diese Wissensdefizite eine freiberufliche
Tätigkeit aus. Es sei nicht nachvollziehbar, aus welchen
Gründen von der Tätigkeit des Klägers auf eine
ingenieurähnliche, wissenschaftliche Arbeitsweise und damit
auf eine vergleichbare Breite und Tiefe der Ausbildung geschlossen
werden könne. Auch ein selbständiger Diplom-Informatiker
könne eine dem Ingenieurberuf ähnliche Tätigkeit nur
ausüben, wenn seine Berufstätigkeit mit der eines
Ingenieurs verglichen werden könne. Nur derjenige, der
über ein gründliches und umfassendes theoretisches Wissen
verfüge, vermöge auch relativ einfach erscheinende
Probleme in einem größeren Zusammenhang zu
sehen.
Das FA beantragt, unter Aufhebung des
angefochtenen Urteils die Klage als unbegründet
abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
Entscheidungserheblich sei allein die
tatsächlich ausgeübte Tätigkeit, nicht das
theoretische Wissen. Auch ein akademisch ausgebildeter
Diplom-Informatiker sei allein aufgrund seiner tatsächlichen
Tätigkeit freiberuflich tätig. Dementsprechend
erübrige sich der Nachweis einer vergleichbaren Ausbildung,
wenn die berufliche Tätigkeit an sich schon so geartet sei,
dass sie ohne theoretische Grundlage, wie sie eine der
Berufsausbildung des Ingenieurs ähnliche Ausbildung vermittle,
gar nicht ausgeübt werden könne. Eine Spezialisierung auf
einen Teilbereich der Ingenieurtätigkeit sei
unschädlich.
II. Die Revision des FA ist begründet.
Das Urteil des FG ist aufzuheben. Die Klage wird abgewiesen (§
126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Der
Senat folgt nicht der Auffassung des FG, dass ein
Steuerpflichtiger, der weder ein Ingenieur- noch ein
Informatikstudium erfolgreich abgeschlossen hat, auch dann
ähnlich einem Ingenieur bzw. Diplom-Informatiker freiberuflich
tätig ist, wenn seine (nachgewiesenen) Kenntnisse sich auf
einen Teilbereich des Informatikstudiums beschränken.
1. Freiberufliche Einkünfte erzielt, wer
die selbständige Berufstätigkeit der in § 18 Abs. 1
Nr. 1 Satz 2 EStG genannten sog. Katalogberufe ausübt. Der
Kläger ist nicht als Ingenieur im Sinne dieser Norm
tätig. Wie der Bundesfinanzhof (BFH) in ständiger
Rechtsprechung entschieden hat, ist „Ingenieur“
nur derjenige, der wegen der Prägung des Berufsbildes des
Ingenieurs durch die Ingenieurgesetze der Bundesländer
aufgrund eines Studiums an einer wissenschaftlichen Hochschule,
einer Fachhochschule, einer Ingenieurschule oder eines
Betriebsführerlehrganges an einer Bergschule befugt ist, die
Berufsbezeichnung „Ingenieur“ zu führen
(vgl. z.B. BFH-Urteil vom 9.2.2006 IV R 27/05, BFH/NV 2006, 1270 =
SIS 06 25 73, m.w.N.). Der Kläger erfüllt diese
Voraussetzung nicht.
2. Der Kläger übt auch nicht,
vergleichbar einem Diplom-Informatiker, eine dem Ingenieurberuf
ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
EStG aus.
a) Setzt der Katalogberuf - wie im Streitfall
- eine qualifizierte Ausbildung voraus, reicht entgegen der
Auffassung des Klägers die Vergleichbarkeit der beruflichen
Tätigkeit allein nicht aus. Nach ständiger
höchstrichterlicher Rechtsprechung muss der Steuerpflichtige
auch über in Tiefe und Breite vergleichbare Kenntnisse
verfügen (vgl. z.B. BFH-Urteile vom 31.8.2005 XI R 62/04,
BFH/NV 2006, 505 = SIS 06 11 56; in BFH/NV 2006, 1270 = SIS 06 25 73, jeweils m.w.N.). Diese Voraussetzung erfüllt der
Kläger nicht.
aa) Zwar kann nach mittlerweile ständiger
BFH-Rechtsprechung ein Diplom-Informatiker eine dem Ingenieur
ähnliche Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2
EStG ausüben. Das Studium der Informatik an einer
(Fach-)Hochschule ist dem der traditionellen
Ingenieurwissenschaften gleichwertig, auch wenn das
Ingenieurstudium im Grundsatz allgemeiner sein kann (BFH-Urteile
vom 28.1.1993 IV R 105/92, BFH/NV 1994, 613; vom 4.8.1983 IV R
6/80, BFHE 139, 84, BStBl II 1983, 677 = SIS 83 20 39, unter 2.b
der Gründe; vom 7.12.1989 IV R 115/87, BFHE 159, 171, BStBl II
1990, 337 = SIS 90 07 43). Dieser Rechtsprechung des IV. Senats des
BFH hat sich der erkennende Senat angeschlossen (BFH-Urteil vom
4.5.2004 XI R 9/03, BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989 = SIS 04 37 78). Nach den Feststellungen des FG hat der Kläger aber kein
derartiges Studium absolviert.
bb) Der Kläger kann auch nicht
nachweisen, dass er sich das Wissen eines Diplom-Informatikers in
vergleichbarer Breite und Tiefe auf andere Weise angeeignet hat.
Kann ein Steuerpflichtiger eine Ausbildung in einem förmlichen
Ausbildungsgang nicht nachweisen, hat es der BFH aus Gründen
der steuerlichen Belastungsgleichheit (Art. 3 Abs. 1 des
Grundgesetzes - GG - ) zugelassen, dass der Steuerpflichtige den
Erwerb vergleichbarer Kenntnisse im Wege der Fortbildung und/oder
des Selbststudiums oder ggf. anhand eigener praktischer Arbeiten
nachweist. Auch für diesen Fall ist allerdings - nicht zuletzt
wiederum aus Gründen der steuerlichen Gleichbehandlung -
vorauszusetzen, dass der Tiefe und der Breite nach das Wissen des
Kernbereichs des jeweiligen Fachstudiums nachgewiesen wird
(ständige Rechtsprechung; vgl. z.B. BFH-Urteile vom 18.6.1980
I R 109/77, BFHE 132, 16, BStBl II 1981, 118 = SIS 81 05 58; vom
11.8.1999 XI R 47/98, BFHE 189, 422, BStBl II 2000, 31 = SIS 99 22 21; vom 28.8.2003 IV R 21/02, BFHE 203, 152, BStBl II 2003, 919 =
SIS 03 47 14, jeweils m.w.N.). Soweit der BFH den Nachweis des
Wissens „eines“ Kernbereichs eines Fachstudiums
für notwendig hält (vgl. z.B. BFH-Urteil in BFH/NV 2006,
1270 = SIS 06 25 73, m.w.N.), ist dies nicht dahin zu verstehen,
dass das Wissen auf einem Teilgebiet eines Fachstudiums ausreicht.
Vielmehr hat der BFH wiederholt Erfahrungen und Kenntnisse in allen
Kernbereichen des Katalogberufs für erforderlich gehalten
(vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10.11.1988 IV R 63/86, BFHE 155, 109,
BStBl II 1989, 198 = SIS 89 03 41; BFH-Beschluss vom 6.6.2003 IV B
52/01, BFH/NV 2003, 1413 = SIS 03 45 83). Dieser Nachweis ist dem
Kläger nicht gelungen. Ausweislich des im ersten Rechtsgang
eingeholten Gutachtens besitzt er zwar Kenntnisse eines
Diplom-Informatikers (FH) auf dem Fachgebiet der Technologie von
Systemsoftware. Ein Vergleich mit den gesamten Kenntnissen eines
Diplom-Informatikers (FH) war lt. Sachverständigengutachten
wegen des Fehlens mathematischer und hardwaretechnischer
Komponenten nicht möglich. Hiergegen hat der Kläger auch
im Revisionsverfahren keine Einwendungen erhoben.
b) Der erkennende Senat hält, anders als
die Vorentscheidung, an der Notwendigkeit des Nachweises eines
vergleichbar umfänglichen Wissens fest. Dieses Kriterium ist
ein sachgerechter und verfassungsrechtlich zulässiger
Maßstab für die Abgrenzung gewerblicher und
freiberuflicher Tätigkeiten.
aa) Der Senat verkennt nicht, dass ein
Diplom-Informatiker auch dann freiberuflich tätig ist, wenn
sich seine konkret ausgeübte Tätigkeit nur auf einen
Hauptbereich der Informatik erstreckt (vgl. z.B. BFH-Urteile vom
14.3.1991 IV R 135/90, BFHE 164, 408, BStBl II 1991, 769 = SIS 91 17 35; vom 5.6.2003 IV R 34/01, BFHE 202, 336, BStBl II 2003, 761 =
SIS 03 37 79). Dementsprechend kann ein selbständiger
EDV-Berater, der Computeranwendungssoftware entwickelt, einen dem
Ingenieur ähnlichen Beruf ausüben (vgl. BFH-Urteil in
BFHE 206, 233, BStBl II 2004, 989 = SIS 04 37 78). Daraus
lässt sich aber für die Anwendung des § 18 Abs. 1
Nr. 1 EStG nicht schließen, bei einer derartigen
Spezialisierung sei das im Studium der Informatik erworbene
Grundlagenwissen unerheblich. Das FG selbst hat keine
Feststellungen getroffen, die seine gegenteilige Auffassung
stützen. Es widerspricht zudem allgemeiner Lebenserfahrung,
das in einem förmlichen Studiengang vermittelte
Grundlagenwissen für die spätere Tätigkeit als
überflüssig anzusehen. Jedenfalls bei typisierender
Betrachtung vermag ein Steuerpflichtiger, der über ein
gründliches und umfassendes theoretisches Wissen verfügt,
insbesondere seltener in der Praxis auftretende Probleme in einem
größeren Zusammenhang zu sehen und damit sicherer zu
beurteilen, als jemand, der aufgrund überwiegend praktischer
Erfahrung sich ein Spezialwissen angeeignet hat (so auch
BFH-Urteile vom 22.1.1988 III R 43-44/85, BFHE 152, 345, BStBl II
1988, 497 = SIS 88 09 38; in BFHE 164, 408, BStBl II 1991, 769 =
SIS 91 17 35).
bb) Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat
die Qualität und Länge der Berufsausbildung als
rechtfertigendes Kriterium für die Freistellung der sog.
freien Berufe von der Gewerbesteuer betrachtet (vgl.
BVerfG-Beschlüsse vom 25.10.1977 1 BvR 15/75, BVerfGE 46, 224,
BStBl II 1978, 125 = SIS 78 00 73; vom 9.10.1990 2 BvR 146/90, HFR
1991, 614). Verfassungsbeschwerden gegen BFH-Entscheidungen, in
denen die Ausbildung als regelmäßig zulässiges und
einleuchtendes Unterscheidungskriterium angesehen wurde, hat es
ohne Begründung nicht zur Entscheidung angenommen (so
Verfassungsbeschwerde gegen den Beschluss des erkennenden Senats
vom 30.10.1996 XI B 197/95, juris; vom 9.9.1999 XI B 106/98, BFH/NV
2000, 188 = SIS 00 51 50; vgl. hierzu Kammerbeschluss des BVerfG
vom 3.5.1997 1 BvR 568/97, juris; vgl. auch BVerfG-Beschluss vom
18.1.1979 1 BvR 531/77, HFR 1979, Nr. 228; BFH-Urteil vom
29.11.2001 IV R 65/00, BFHE 197, 228, BStBl II 2002, 149 = SIS 02 04 24).
3. Eine Aussetzung des Verfahrens nach §
74 FGO im Hinblick auf das beim BVerfG anhängige
Normenkontrollverfahren zur Verfassungsmäßigkeit der
Gewerbeertragsteuer (vgl. Vorlagebeschluss des
Niedersächsischen FG vom 21.4.2004 4 K 317/91, EFG 2004, 1065
= SIS 04 26 24; Az.: 1 BvL 2/04) ist im Streitfall nicht geboten.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH hängt die
Entscheidung über die Aussetzung des Verfahrens nach § 74
FGO auch davon ab, ob mit der Aufhebung eines etwa
verfassungswidrigen Gesetzes für die Vergangenheit zu rechnen
oder nur zu erwarten ist, dass das BVerfG dem Gesetzgeber eine
angemessene Frist zur Herbeiführung eines
verfassungsmäßigen Zustandes setzen wird. Allenfalls
Letzteres ist hier anzunehmen. Der erkennende Senat folgt insoweit
der Auffassung des IV. und des X. Senats des BFH (Urteile vom
24.2.2005 IV R 23/03, BFHE 209, 269, BStBl II 2005, 578 = SIS 05 25 24; vom 20.7.2005 X R 74/01, BFH/NV 2005, 2195 = SIS 05 48 33).