Kunst, Nebenberuf: Eine nebenberufliche künstlerische Tätigkeit kann auch vorliegen, wenn sie die eigentliche künstlerische (Haupt-)Tätigkeit unterstützt und ergänzt, sofern sie Teil des gesamten künstlerischen Geschehens ist. - Urt.; BFH 18.4.2007, XI R 21/06; SIS 07 24 90
I. Die Beteiligten streiten um die Frage,
ob der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) steuerfreie
Einkünfte aus nebenberuflicher künstlerischer
Tätigkeit bezogen hat.
Der Kläger ist Beamter. Neben seiner
beruflichen Tätigkeit war er als Statist an der Oper
beschäftigt. Im Streitjahr 2001 hatte er dort insgesamt 61
Auftritte (Vorführungen und Proben) mit den Opern
„Zauberflöte“, „Ariadne auf Naxos“,
dem „Rheingold“, dem „Rosenkavalier“ und
„Nabucco“ sowie in dem Ballett „Rot und
Schwarz“. Die Mitwirkung des Klägers ergibt sich im
Einzelnen aus den im Tatbestand des angefochtenen Urteils
getroffenen Feststellungen.
Für das Streitjahr erklärte der
Kläger 2.300 DM steuerfreie Einnahmen aus nebenberuflicher
Tätigkeit als Künstler in der Komparserie. Der Beklagte
und Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) erkannte die
Steuerfreiheit der Einkünfte aus der Tätigkeit des
Klägers als Komparse nicht an und erfasste diese Einnahmen bei
seinen Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit. Der
Einspruch des Klägers vom 7.10.2002 wurde mit
Einspruchsentscheidung vom 28.1.2004 als unbegründet
zurückgewiesen.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage statt
(vgl. SIS 06 24 45). Nach § 3 Nr. 26 des
Einkommensteuergesetzes (EStG) seien im Streitjahr 2001 Einnahmen
aus künstlerischen nebenberuflichen Tätigkeiten bis zur
Höhe von insgesamt 3.600 DM steuerfrei.
Durch das Kultur- und
Stiftungsförderungsgesetz (KultStiftFöG) vom 13.12.1990
(BGBl I 1990, 2775) sei § 3 Nr. 26 EStG auf nebenberufliche
künstlerische Tätigkeiten ausgedehnt worden, um die
steuerlichen Rahmenbedingungen für Kunst und Kultur weiter zu
verbessern und auch das private Engagement von Bürgern,
Künstlern, Sammlern und Stiftern für Kunst und Kultur
durch steuerliche Maßnahmen zu ermutigen (BTDrucks 11/7833,
S. 1, 7). Die Ausdehnung der Übungsleiterpauschale auf
nebenberufliche künstlerische Tätigkeiten sei damit
begründet worden, dass dadurch insbesondere die Arbeit der im
kulturellen Bereich tätigen gemeinnützigen Vereine
gefördert werden solle.
Das Tatbestandsmerkmal einer
künstlerischen Tätigkeit sei im Rahmen der Regelung des
Freibetrags für eine nebenberufliche Tätigkeit so
auszulegen wie das Tatbestandsmerkmal des Künstlers bei der
Prüfung der Voraussetzungen für das Vorliegen der
Voraussetzungen von Einkünften aus selbständiger Arbeit
nach § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG.
Das Wesen künstlerischer
Betätigung liege nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs
(BFH) zu § 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG in der freien
schöpferischen Gestaltung, in der der Steuerpflichtige seine
individuelle Anschauungsweise und Darstellungskraft zum Ausdruck
bringe und die über eine hinreichende Beherrschung der Technik
hinaus eine gewisse Gestaltungshöhe erreiche. Die
Tätigkeit des Klägers als Statist erfülle die
Anforderungen an eine künstlerische Tätigkeit. Für
den speziellen Bereich des Statisten an einem Theater oder einer
Oper sei eine künstlerische Tätigkeit deshalb dann
anzunehmen, wenn er Tätigkeiten ausübe, die auch von
einem Schauspieler oder Sänger - den charakteristischen
künstlerischen Akteuren dieser Kunstgattungen -, etwa in einer
Nebenrolle, wahrgenommen würden. Diesen Bereich verlasse der
Statist erst dann, wenn er lediglich als eine Art
„menschliche Requisite“ - ohne eigenen Ausdruck
außer der schlichten Darstellung seines äußeren
Wesens - gewissermaßen als Teil der Bühnenausstattung
eingesetzt werde.
Im Streitfall habe sich der Kläger mit
seinen Leistungen im Rahmen des künstlerischen Genres
„Darsteller“ gehalten und keine rein mechanische
Funktion als „menschliche Requisite“ wahrgenommen. Auch
die erforderliche Gestaltungshöhe der Darstellung des
Klägers sei zu bejahen. Sie folge bereits aus den nicht
unerheblichen schauspielerischen Leistungen, die in seiner
Tätigkeit enthalten seien. Im Übrigen ergebe sie sich aus
der Tatsache, dass es sich bei dem Arbeitgeber, der Oper, um ein
anerkanntes und renommiertes Opernhaus handele.
Der Senat habe über die Frage, ob die
konkrete Tätigkeit des Klägers als Statist eine
künstlerische Tätigkeit darstelle, ohne Einholung eines
Gutachtens entscheiden können. Das Gericht habe aufgrund der
substantiierten schriftsätzlichen Schilderung der
Tätigkeit des Klägers aus eigener Sachkunde nach der
Verkehrsanschauung feststellen können, dass der Kläger
künstlerische Leistungen in hinreichendem Umfang erbracht
habe.
Mit der Revision macht das FA
geltend:
1.
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Die Tätigkeit des Klägers sei
hauptberuflich gewesen. Die Mitwirkung an 61 Aufführungen habe
einen Umfang, bei dem nicht mehr von einer nebenberuflichen
Tätigkeit ausgegangen werden könne.
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2.
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Der Tätigkeit des Klägers fehle
eine eigenschöpferische Leistung und eine künstlerische
Gestaltungshöhe. Dem Kläger sei insoweit kein
hinreichender Spielraum verblieben.
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Die Einkommensteuer-Referatsleiter des
Bundes und der Länder hätten entschieden, dass Statisten
keine künstlerische Tätigkeit ausübten.
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3.
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Das FA habe nicht die Möglichkeit
gehabt, die Einholung eines Sachverständigengutachtens zu
beantragen. Das FG habe seine besondere Sachkunde nicht
dargelegt.
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Das FA beantragt, das angefochtene Urteil
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
1.
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Bei der Zahl von 61 Auftritten seien die
Proben mit eingerechnet. Pro Monat ergebe sich ein Auftritt mit
vier Proben. Die Anwesenheit während des gesamten Stücks
sei nicht notwendig. Die Nebentätigkeit sei von dem
Dienstherrn des Klägers als solche genehmigt worden.
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2.
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Der Kläger sei als Komparse
Darsteller, nicht nur „herumstehender“ Statist.
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II. Die Revision des FA ist gemäß
§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) mit der
Klarstellung als unbegründet zurückzuweisen, dass die mit
den steuerfreien Einnahmen zusammenhängenden Werbungskosten in
Höhe von 524,60 DM außer Ansatz bleiben. Die
Entscheidung des FG ist revisionsrechtlich nicht zu
beanstanden.
1. Gemäß § 3 Nr. 26 EStG sind
steuerfrei u.a. Einnahmen aus nebenberuflichen künstlerischen
Tätigkeiten im Dienst oder im Auftrag einer inländischen
juristischen Person des öffentlichen Rechts oder einer unter
§ 5 Abs. 1 Nr. 9 des Körperschaftsteuergesetzes fallenden
Einrichtung zur Förderung gemeinnütziger,
mildtätiger und kirchlicher Zwecke (§§ 52 bis 54 der
Abgabenordnung - AO - ) bis zur Höhe von insgesamt 3.600 DM im
Jahr.
Nach ständiger Rechtsprechung des BFH
übt ein Steuerpflichtiger eine künstlerische
Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1 Satz 2 EStG aus,
wenn er eine eigenschöpferische Leistung vollbringt, in der
seine individuelle Anschauungsweise und Gestaltungskraft zum
Ausdruck kommt, und die über eine hinreichende Beherrschung
der Technik hinaus grundsätzlich eine gewisse
künstlerische Gestaltungshöhe erreicht (BFH-Urteile vom
23.9.1998 XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460 = SIS 98 51 37, und vom
4.11.2004 IV R 63/02, BFHE 209, 116, BStBl II 2005, 362 = SIS 05 16 30). Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) sieht das Wesentliche
der künstlerischen Betätigung in der freien
schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen
und Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten
Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden
(BVerfG-Entscheidungen vom 24.2.1971 1 BvR 435/68, BVerfGE 30, 173,
188, und vom 17.7.1984 1 BvR 816/82, BVerfGE 67, 213).
Diese Grundsätze können auf § 3
Nr. 26 EStG übertragen werden (so auch von Beckerath, in:
Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 3 Nr. 26 Rz B 26/91).
Allerdings ist zu berücksichtigen, dass diese Regelung nur
eine nebenberufliche künstlerische Tätigkeit erfasst,
deren Einnahmen im Streitjahr höchstens in Höhe von 3.600
DM (1.848 EUR) steuerfrei waren. Diese der Art und der Höhe
nach vorgegebenen Begrenzungen beeinflussen die Auslegung einer
künstlerischen Tätigkeit i.S. des § 3 Nr. 26 EStG.
Eine künstlerische Tätigkeit in diesem Sinn kann daher
auch vorliegen, wenn sie die eigentliche künstlerische
(Haupt-)Tätigkeit unterstützt und ergänzt, sofern
sie Teil des gesamten künstlerischen Geschehens ist. Auch der
Komparse kann daher - anders z.B. als ein Bühnenarbeiter -
eine künstlerische Tätigkeit ausüben.
Diese Auslegung entspricht dem Zweck der mit
dem KultStiftFöG aufgenommenen Ergänzung des § 3 Nr.
26 EStG. Durch die Einbeziehung nebenberuflicher
künstlerischer Tätigkeiten sollte - so die
Gesetzesbegründung - insbesondere die Arbeit der im
kulturellen Bereich tätigen gemeinnützigen Vereine
gefördert werden (BTDrucks 11/7833, S. 8); auch in diesem
Bereich entspricht das künstlerische Niveau nicht zwingend
professioneller Gestaltungshöhe.
Soweit das FA auf einen Beschluss der
Vertreter der obersten Finanzbehörden des Bundes und der
Länder hinweist (TOP 6 ESt IV/97; zitiert nach einem in den
Akten befindlichen Schreiben des Ministeriums der Finanzen
Rheinland-Pfalz vom 15.8.2002 - S 2121 A - 02 - 003 - 01 - 442),
nach dem an die nebenberufliche künstlerische Tätigkeit
die gleichen strengen Anforderungen wie an die hauptberufliche
künstlerische Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1
EStG zu stellen seien, berücksichtigt dieser Beschluss nicht
die besondere Situation, die sich aus der Nebenberuflichkeit
ergibt.
2. Im Streitfall hat der Kläger die
Voraussetzungen des § 3 Nr. 26 EStG erfüllt. Das FG hat
zutreffend darauf abgestellt, dass die Tätigkeit des
Klägers Teil des künstlerischen Gesamtgeschehens war.
Nach den Feststellungen des FG hat sich der Kläger mit seinen
Leistungen im Rahmen des künstlerischen Genres
„Darsteller“ gehalten und keine rein mechanische
Funktion als „menschliche Requisite“
wahrgenommen. Der Auftritt des Klägers habe nicht unerhebliche
schauspielerische Leistungen enthalten.
3. Die künstlerische Tätigkeit des
Klägers war nebenberuflicher Natur. Die Art der Tätigkeit
und die Höhe der Vergütung machen hinreichend deutlich,
dass es sich nicht um eine hauptberufliche Tätigkeit
handelte.
4. Das FG war nicht verpflichtet, einen
Sachverständigen einzuschalten. Soweit das FA dies anders
beurteilt und das Unterlassen als verfahrensfehlerhaft ansieht,
hätte dies bereits in der mündlichen Verhandlung
gerügt werden können und müssen (BFH-Urteil vom
5.4.1990 VII R 50/88, BFH/NV 1991, 204; Gräber/ Ruban,
Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 100 ff.). Zudem hat
das FG im Einzelnen dargelegt, aus welchen Gründen es selbst
zu einer Entscheidung in der Lage war. Im Übrigen war es dem
FA unbenommen, selbst einen Sachverständigen einzuschalten und
ein entsprechendes Gutachten einzuholen.