Zweitwohnung bei zwei Arbeitsorten: Aufwendungen eines Arbeitnehmers für eine Zweitwohnung an einem auswärtigen Beschäftigungsort sind auch dann wegen doppelter Haushaltsführung als Werbungskosten abziehbar, wenn der Arbeitnehmer zugleich am Ort seines Hausstands beschäftigt ist. - Urt.; BFH 24.5.2007, VI R 47/03; SIS 07 21 04
I. Der Kläger und Revisionskläger
(Kläger) war im Streitjahr (1996) wissenschaftlicher
Mitarbeiter eines Abgeordneten des Deutschen Bundestages. Er hatte
seine Dienstpflichten sowohl im Wahlkreis des Abgeordneten in
Berlin als auch am damaligen Sitz des Bundestages in Bonn zu
erfüllen. Neben seinem Hauptwohnsitz in Berlin unterhielt der
Kläger auch in Bonn eine eigene Wohnung.
In der Einkommensteuererklärung
für das Streitjahr machte der Kläger Aufwendungen
für die Wohnung in Bonn in Höhe von 12.200 DM (Miete,
Fehlbelegungsabgabe und Strom) als Werbungskosten geltend, die vom
Beklagten und Revisionsbeklagten (Finanzamt - FA - ) nicht
berücksichtigt wurden.
Das Finanzgericht (FG) wies die nach
erfolglosem Vorverfahren erhobene Klage mit den in EFG 2003, 1528 =
SIS 03 47 61 veröffentlichten Gründen ab. Zur
Begründung führte es im Wesentlichen aus, dass der
Kläger den Tatbestand der doppelten Haushaltsführung
nicht erfüllt habe, da er nicht ausschließlich
außerhalb Berlins beschäftigt gewesen sei. Zwischen der
Wohnungsmiete und der beruflichen Tätigkeit des Klägers
bestehe zwar ein objektiver Zusammenhang, da der Kläger
gezwungen gewesen sei, sich für die Sitzungsperioden des
Bundestages in Bonn eine Unterkunft zu besorgen. Die Aufwendungen
für die Zweitwohnung in Bonn unterlägen jedoch dem
Abzugsverbot des § 12 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes
(EStG). Denn der Kläger habe über eine reine
Übernachtungsmöglichkeit hinaus mit der Zweitwohnung
seine Wohnbedürfnisse nach seinen individuellen und
persönlichen Wünschen gestalten wollen.
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung materiellen Rechts.
Der Kläger beantragt, das Urteil des
FG aufzuheben und im Einkommensteuerbescheid für das
Streitjahr Aufwendungen für die Wohnung in Bonn in Höhe
von 12.200 DM als Werbungskosten bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit zu berücksichtigen.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Das
angefochtene Urteil ist aufzuheben und der Klage stattzugeben
(§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO -
). Entgegen der Ansicht der Vorinstanz sind die Aufwendungen des
Klägers für die Wohnung in Bonn als Werbungskosten bei
den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zu
berücksichtigen.
1. Gemäß § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr.
5 EStG sind Werbungskosten auch notwendige Mehraufwendungen, die
einem Arbeitnehmer wegen einer aus beruflichem Anlass
begründeten doppelten Haushaltsführung entstehen. Eine
doppelte Haushaltsführung liegt nach Satz 2 der Vorschrift
vor, wenn der Arbeitnehmer außerhalb des Ortes, in dem er
einen eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und
auch am Beschäftigungsort wohnt. Auch ein alleinstehender
Arbeitnehmer kann einen doppelten Haushalt führen (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 5.10.1994 VI R 62/90, BFHE 175, 430,
BStBl II 1995, 180 = SIS 95 01 33).
Beschäftigungsort i.S. des § 9 Abs.
1 Satz 3 Nr. 5 EStG ist der Ort der regelmäßigen,
dauerhaften Arbeitsstätte (Schmidt/ Drenseck, EStG, 26. Aufl.,
§ 9 Rz 141; vgl. BFH-Urteil vom 10.10.1994 VI R 2/92, BFHE
175, 553, BStBl II 1995, 137 = SIS 95 03 60, unter 2. a der
Gründe). Regelmäßige Arbeitsstätte ist der
ortsgebundene Mittelpunkt der dauerhaft angelegten beruflichen
Tätigkeit des Steuerpflichtigen (BFH-Urteil vom 22.7.2003 VI R
190/87, BFHE 203, 111, BStBl II 2004, 886 = SIS 03 45 47). Ein
Arbeitnehmer kann mehrere Arbeitsstätten haben (BFH-Urteil vom
5.8.2004 VI R 40/03, BFHE 207, 225, BStBl II 2004, 1074 = SIS 04 37 81).
2. Nach diesen Grundsätzen sind die
Aufwendungen des Klägers für die Wohnung in Bonn nach
§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 EStG als Werbungskosten abziehbar.
a) Der Kläger hat im Streitjahr einen
doppelten Haushalt geführt (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz
2 EStG). Nach den mit Revisionsrügen nicht angegriffenen und
den BFH daher gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden
Feststellungen des FG unterhielt der Kläger neben seinem
Hauptwohnsitz in Berlin eine Zweitwohnung in Bonn. Seine
Dienstpflichten hatte er sowohl in Berlin als auch in Bonn zu
erfüllen. Der Kläger war damit im Streitjahr
außerhalb Berlins, wo er einen eigenen Hausstand unterhielt,
beschäftigt und wohnte auch am Beschäftigungsort in
Bonn.
Entgegen der Ansicht der Vorinstanz wird die
doppelte Haushaltsführung nicht dadurch ausgeschlossen, dass
der Kläger auch am Ort seines Hauptwohnsitzes beschäftigt
war. Eine derartige Einschränkung der doppelten
Haushaltsführung ergibt sich nicht aus dem Wortlaut des §
9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 5 Satz 2 EStG. Denn die Vorschrift sieht ihrem
Wortlaut nach nicht vor, dass der Steuerpflichtige
ausschließlich außerhalb des Ortes, in dem er einen
eigenen Hausstand unterhält, beschäftigt ist und auch am
Beschäftigungsort wohnt.
Voraussetzung für das Vorliegen einer
doppelten Haushaltsführung ist vielmehr eine Aufspaltung der
normalerweise einheitlichen Haushaltsführung auf zwei
verschiedene Haushalte. Eine solche Aufspaltung ist aber auch
gegeben, wenn der Steuerpflichtige am Ort seiner zweiten
Arbeitsstätte für die dortigen Arbeitseinsätze eine
zweite Wohnung unterhält (Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 9
Rz 141; vgl. BFH-Urteil vom 7.10.1994 VI R 76/89, BFH/NV 1995, 502
= SIS 95 08 44). Dies entspricht dem Zweck des § 9 Abs. 1 Satz
3 Nr. 5 EStG, typische Mehraufwendungen zu erfassen, die dadurch
entstehen, dass der Steuerpflichtige aus beruflichen Gründen
nicht in seiner Familienwohnung wohnen kann (Frotscher, EStG, 6.
Aufl., Freiburg 1998 ff., § 9 Rz 159). Dieser Zweck kommt
insbesondere in den Fällen zum Tragen, in denen die
Mehraufwendungen unabwendbar sind, da der Steuerpflichtige sie -
wie im Streitfall - nicht durch Verlegung seines Hausstands an den
Beschäftigungsort vermeiden kann (vgl. Schmidt/Drenseck,
a.a.O., § 9 Rz 141; Frotscher, a.a.O., § 9 Rz 159).
b) Der Kläger hat die doppelte
Haushaltsführung auch aus beruflichem Anlass begründet.
Nach den tatsächlichen Feststellungen des FG hat der
Kläger die Wohnung in Bonn angemietet, um sich für die
Sitzungsperioden des Bundestages in Bonn eine Unterkunft zu
besorgen.
c) Dem Kläger sind für die doppelte
Haushaltsführung notwendige Mehraufwendungen in Höhe von
12.200 DM entstanden. Nach dem unbestrittenen Vorbringen des
Klägers sind diese Aufwendungen für Miete,
Fehlbelegungsabgabe und Strom im Rahmen der Nutzung der Wohnung in
Bonn angefallen.
3. Der Senat weicht mit seiner Entscheidung
nicht von dem Urteil des IV. Senats des BFH vom 29.3.1979 IV R
137/77 (BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700 = SIS 79 03 57) ab,
wonach die Aufwendungen für eine Zweitwohnung am Ort einer
zweiten beruflichen Niederlassung regelmäßig zu den nach
§ 12 Nr. 1 EStG nichtabziehbaren Kosten der Lebensführung
gehören. Eine Abweichung von dieser Entscheidung ist schon
deshalb nicht gegeben, weil der IV. Senat das Abzugsverbot für
die Kosten der Zweitwohnung darauf gestützt hat, dass - anders
als im Streitfall - bei der Anmietung der Zweitwohnung private
Bedürfnisse des Klägers im Vordergrund standen. Der IV.
Senat lässt zudem Ausnahmen vom Abzugsverbot des § 12 Nr.
1 EStG aufgrund besonderer Umstände des Einzelfalls zu. Hierzu
führt er in seinem Urteil vom 8.7.1976 IV R 100/72 (BFHE 119,
557, BStBl II 1976, 776 = SIS 76 04 27), auf das er im Urteil in
BFHE 128, 196, BStBl II 1979, 700 = SIS 79 03 57 Bezug nimmt, aus,
dass der steuerliche Abzug von Aufwendungen für eine
Zweitwohnung nach den Grundsätzen der doppelten
Haushaltsführung in Betracht komme, wenn die Wohnung - wie im
Streitfall - für den Steuerpflichtigen lediglich dem
Aufenthalt für befristete Zeit außerhalb der beruflichen
Tätigkeit und nicht als Mittelpunkt seiner privaten
Lebensführung diene. Eine Divergenzanfrage (§ 11 Abs. 3
FGO) ist daher nicht erforderlich.
4. Da das FG von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen ist, ist das vorinstanzliche
Urteil aufzuheben. Die Sache ist spruchreif. Der
Einkommensteuerbescheid für das Streitjahr in Gestalt der
Einspruchsentscheidung des FA vom 25.2.2000 ist dahingehend
abzuändern, dass bei den Einkünften aus
nichtselbständiger Arbeit zusätzliche Werbungskosten in
Höhe von 12.200 DM zu berücksichtigen sind. Die
Neuberechnung der Einkommensteuer wird dem FA übertragen
(§ 100 Abs. 2 Satz 2, § 121 FGO).