Säumniszuschlag, Erlass, Voraussetzungen: Das Ermessen hinsichtlich des Erlasses von Säumniszuschlägen auf nicht geleistete Einkommensteuervorauszahlungen ist nicht wegen Verfassungswidrigkeit von § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG auf Null reduziert. - Urt.; BFH 29.3.2007, IX R 17/06; SIS 07 19 26
I. Die
Kläger und Revisionsbeklagten (Kläger), im Jahr 1995
(Streitjahr) als Eheleute zusammen zur Einkommensteuer veranlagt,
machten für ein im Streitjahr fertig gestelltes
Mietwohngrundstück einen Werbungskostenüberschuss in
Höhe von ca. 75.000 DM geltend. Der Beklagte und
Revisionskläger (das Finanzamt - FA - ) berücksichtigte
diesen im Bescheid vom 19.8.1996 zur Anpassung der Vorauszahlungen
für Einkommensteuer 1995 nicht, da nach § 37 Abs. 3 Satz
7 des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr 1995
geltenden Fassung (EStG) der Verlust erst ab dem
Veranlagungszeitraum 1996 für Zwecke der Vorauszahlung
berücksichtigt werden könne.
Dagegen legten
die Kläger Einspruch ein und beantragten die Aussetzung der
Vollziehung, da § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG verfassungsrechtlich
bedenklich sei. Das FA lehnte mit Bescheid vom 28.8.1996 den Antrag
ab. Der Bundesfinanzhof (BFH) habe im Beschluss vom 17.3.1994 VI B
154/93 (BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567 = SIS 94 11 41)
bestätigt, dass § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG nicht gegen die
Verfassung verstoße. Das FA wies auf die Möglichkeit der
Einflussnahme durch Abgabe der Einkommensteuererklärung 1995
hin. Gegen den Bescheid vom 28.8.1996 legten die Kläger am
27.9.1996 Einspruch ein. Im Einkommensteuerbescheid für 1995
vom 17.12.1996 wirkte sich der Verlust aus dem
streitgegenständlichen Objekt antragsgemäß aus.
Eine Abschlusszahlung ergab sich nicht.
Am 7.2.1997
erging ein Abrechnungsbescheid nach § 218 Abs. 2 der
Abgabenordnung (AO) über Säumniszuschläge zur
Anpassung von Einkommensteuer und Solidaritätszuschlag 1995,
wonach Säumniszuschläge in Höhe von 1.660 DM wegen
Nichtentrichtung festgesetzter Einkommensteuervorauszahlungen
für 1995 sowie in Höhe von 124 DM wegen Nichtentrichtung
des Solidaritätszuschlags festgesetzt wurden. Dagegen haben
die Kläger Einspruch erhoben, den sie wiederum mit
verfassungsrechtlichen Bedenken gegen § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG
begründeten. Mit zwei Einspruchsentscheidungen vom 26.5.1997,
die gegenüber Kläger und Klägerin ergingen, wurde
der Einspruch als unbegründet zurückgewiesen. Die
Einwendungen der Kläger beträfen allein die
Steuerfestsetzung.
Mit ihren Klagen
vom 26.6.1997 haben sich die Kläger gegen den
Vorauszahlungsbescheid vom 19.8.1996 gewandt. Am 6.8.1996 habe dem
FA hinsichtlich des im Jahr 1995 fertig gestellten Anwesens eine
Schätzung vorgelegen, die einen Verlust von mindestens 68.000
DM ausgewiesen habe. Dessen Nichtberücksichtigung im Hinblick
auf § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG sei rechtswidrig. Die Regelung
solle nur die Vorfinanzierung von Eigenkapitalleistungen über
die ersparten Einkommensteuervorauszahlungen einschränken, wie
dies bei Bauherren- und Erwerbermodellen praktiziert worden sei.
Betroffen seien aber auch Bauherren, die das Bauvorhaben - wie im
Streitfall - ohne Einschaltung von Modellträgern verwirklicht
hätten; hierfür fehle jede Rechtfertigung.
Mit Beschluss vom
3.5.2001 hat das Finanzgericht (FG) die beiden Verfahren nach
§ 74 der Finanzgerichtsordnung (FGO) ausgesetzt, u.a. bis zu
einer rechtskräftigen Entscheidung in vorliegendem Verfahren.
Das FA hat mit Bescheid vom 24.6.2004 den Erlass der
Säumniszuschläge abgelehnt und den Einspruch mit
Einspruchsentscheidung vom 2.9.2005 als unbegründet
zurückgewiesen.
Der hiergegen
gerichteten Klage hat das FG mit seinem in EFG 2006, 950 = SIS 06 24 31 veröffentlichten Urteil stattgegeben.
Mit seiner
Revision rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts (§
37 Abs. 3 Satz 7 EStG in der im Streitjahr geltenden Fassung). In
der Konsequenz der Argumentation des FG liege praktisch eine
vollständige Abschaffung von § 37 Abs. 3 Satz 7 (jetzt
Satz 8) EStG. Die Entscheidung des FG sei nicht folgerichtig.
Insbesondere übersehe das FG, dass der Gesetzgeber mit der
seinerzeitigen Änderung des Einkommensteuergesetzes auch eine
Vereinfachung des Verfahrens bezweckt habe. Das FA müsse nicht
mehr im Vorauszahlungs- und Veranlagungsverfahren doppelt
prüfen. Diesen Zweck habe der Gesetzgeber erreicht. Er habe
schwierige Abgrenzungen zu anderen Fallgestaltungen der Vermietung
und Verpachtung vermieden. Diese hätten sich ergeben, wenn der
Gesetzgeber versucht hätte, den Verlustausgleich im
Vorauszahlungsverfahren auf sog. Verlustzuweisungsmodelle zu
begrenzen. Mit dem BFH-Beschluss vom 6.5.1996 IX B 121/84 (BFHE
146, 433, BStBl II 1986, 749 = SIS 86 17 11) sei davon auszugehen,
dass gemessen an der genannten Zielsetzung § 37 Abs. 3 Satz 5
(im Streitfall Satz 7) EStG nur zu einer
verhältnismäßig geringfügigen Verschlechterung
der Rechtstellung der einzelnen Steuerpflichtigen führe. Dies
habe der BFH im Beschluss in BFHE 173, 554, BStBl II 1994, 567 =
SIS 94 11 41 bestätigt. Danach könne es nicht sachlich
unbillig sein, auch alle Folgerungen aus der gesetzlichen Regelung
zu ziehen. Im Übrigen habe der Gesetzgeber schon bei Erlass
der Norm davon ausgehen müssen, dass es neben
Bauherrenmodellen auch noch Einzelbauherren und Einzelerwerber
gebe, die von der Norm erfasst würden.
Das FA beantragt,
das Urteil des FG aufzuheben und die Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung an das FG
zurückzuverweisen.
Die Kläger
beantragen sinngemäß, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision ist
begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung
und Zurückverweisung der Sache an das FG zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung (§ 126 Abs. 3 Satz 1
Nr. 2 FGO).
Das FG ist zu
Unrecht von einer Ermessensreduzierung auf Null und damit von einer
Pflicht des FA ausgegangen, die streitigen
Säumniszuschläge gemäß § 227 AO zu
erlassen.
1. Gemäß
§ 227 AO können die Finanzbehörden Ansprüche
aus dem Steuerschuldverhältnis - gemäß § 3
Abs. 4, § 37 Abs. 1 und § 240 AO auch
Säumniszuschläge - ganz oder zum Teil erlassen, wenn
deren Einziehung nach Lage des einzelnen Falles unbillig wäre.
Es handelt sich dabei um eine Ermessensentscheidung (§ 102
FGO).
Das FG hat im
Streitfall die Ermessensausübung des FA zu Unrecht lediglich
auf das Vorliegen einer Ermessensreduzierung auf Null geprüft
und eine solche wegen sachlicher Unbilligkeit bejaht (vgl.
BFH-Urteil vom 27.9.2001 X R 134/98, BFHE 196, 400, BStBl II 2002,
176 = SIS 02 04 81).
a) § 37 Abs. 3
Satz 7 EStG bewegt sich noch im Rahmen der gesetzgeberischen
Gestaltungsfreiheit. Das mit der Norm verfolgte gesetzgeberische
Ziel, im Bereich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung
typischerweise entstehende hohe Werbungskostenüberschüsse
im Anfangsstadium der Einkünfteerzielung nicht bereits bei der
Einkommensteuervorauszahlung, sondern erst im Veranlagungsverfahren
zu berücksichtigen, verletzt nicht die Anforderungen der
Besteuerungsgleichheit nach Maßgabe wirtschaftlicher
Leistungsfähigkeit (vgl. zu den grundsätzlichen
Anforderungen einer gleichmäßigen Besteuerung nach der
wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts - BVerfG - vom 4.12.2002 2 BvR 400/98,
1735/00 - doppelte Haushaltsführung - BVerfGE 107, 27 = SIS 03 19 40, BGBl I 2003, 636, unter C. I. 1., m.w.N.). Zwar besteht eine
systemprägende Struktur der geltenden Einkommensteuer im
objektiven Nettoprinzip (vgl. BVerfGE 107, 27 = SIS 03 19 40, unter
C. I. 1. c). Jedoch verletzt § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG das
objektive Nettoprinzip nicht, da bei der endgültigen
Einkommensteuerfestsetzung die fraglichen
Werbungskostenüberschüsse berücksichtigt werden.
Eine Benachteiligung ergibt sich lediglich für das
Einkommensteuervorauszahlungsverfahren. Insoweit sind die mit der
Regelung verbundenen Härten für die betroffenen
Steuerpflichtigen von geringerer Intensität.
Dass der Gesetzgeber
mit der Regelung primär sog. Verlustzuweisungs- bzw.
Bauherrenmodelle treffen wollte (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 173,
554, BStBl II 1994, 567 = SIS 94 11 41, unter 1., m.w.N.; BRDrucks
303/83, S. 10 f.; BTDrucks 10/686, S. 12, BTDrucks 10/716, S. 12),
sich dabei jedoch für eine generelle Regelung entschieden hat,
ist in doppelter Hinsicht sachlich gerechtfertigt: Zum einen
sprechen Vereinfachungsgründe für eine generelle
Regelung. Durch sie werden schwierige Abgrenzungen zur Bestimmung
sog. Verlustzuweisungsgesellschaften oder von Bauherrenmodellen
vermieden. Außerdem bedeutet es eine
Verwaltungsvereinfachung, die endgültige Höhe von
Verlusten im Anfangsstadium eines Vermietungsprojekts erst im
Veranlagungsverfahren zu prüfen.
Zum anderen konnte
der Gesetzgeber gerade im Bereich der Vermietung und Verpachtung
typisierend davon ausgehen, dass sich in vermehrter Zahl
Fallgestaltungen von anfänglichen
Werbungskostenüberhängen ergeben, die ggf. auch im
Zeitraum der Einkommensteuervorauszahlungen noch nicht genau
bezifferbar sind. Insoweit konnte er im Rahmen seiner
gesetzgeberischen Gestaltungsfreiheit zwischen
Vermietungseinkünften und anderen Einkunftsarten
differenzieren. Denn es geht darum, Lebenssachverhalten Rechnung zu
tragen, welche in typischer Weise mit der Einkunftsart der
Vermietung und Verpachtung verbunden sind. Daher bedurfte es auch
keiner Differenzierung zwischen Bauherrenmodellen und anderen
Vermietungsprojekten.
Angesichts der
Verfassungsmäßigkeit von § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG
kommt auch kein zwangsläufiger Erlass von
Säumniszuschlägen wegen eines überhängenden
Tatbestandes in Betracht. Denn § 37 Abs. 3 Satz 7 EStG liefe
ins Leere, wäre die Norm nicht mit allgemeinen Mitteln
vollziehbar. Es entstünde insoweit ein verfassungswidriges
Vollzugsdefizit (Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - ; vgl. zu
den Anforderungen der Besteuerungsgleichheit auch im
Verwaltungsvollzug BVerfG-Urteil vom 9.3.2004 2 BvL 17/02, BVerfGE
110, 94 = SIS 04 13 59, BGBl I 2004, 591, unter C. II. 1.,
m.w.N.).
b) Nach den
finanzgerichtlichen Feststellungen sind auch keine anderen
Gründe ersichtlich, aus denen sich eine Ermessensreduzierung
auf Null ergäbe.
2. Die Sache ist
nicht spruchreif. Die finanzgerichtlichen Feststellungen erlauben
keine abschließende Prüfung, inwieweit die
Ermessensentscheidung des FA nach § 227 AO fehlerhaft ist.
Denn das FG hat sich ausschließlich mit der Frage der
Ermessensreduzierung auf Null wegen Verfassungswidrigkeit von
§ 37 Abs. 3 Satz 7 EStG beschäftigt.