Obergesellschaft, abweichendes Wirtschaftsjahr: Legt eine Personen-Obergesellschaft ihr Wirtschaftsjahr abweichend von den Wirtschaftsjahren der Untergesellschaften fest, so liegt hierin jedenfalls dann kein Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts, wenn dadurch die Entstehung eines Rumpfwirtschaftsjahres vermieden wird. - Urt.; BFH 9.11.2006, IV R 21/05; SIS 07 11 15
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) ist eine Holding GmbH & Co. KG, die im Januar
des Streitjahres (1992) gegründet wurde. Gegenstand ihres
Unternehmens ist nach § 2 des Gesellschaftsvertrages vom
22.1.1992 der Erwerb, die Veräußerung und die Verwaltung
von Beteiligungen an anderen Unternehmen. Darüber hinaus
unterhielt die Klägerin lediglich Bankkonten.
Die Geschäftsführung und
Vertretung der Gesellschaft oblag gemäß § 6 Nr. 1
des Gesellschaftsvertrages allein der
Komplementär-GmbH.
Die Kommanditisten der Klägerin
verpflichteten sich gemäß § 4 des
Gesellschaftsvertrages, ihre Gesellschaftsanteile an der L-KG und
der P-KG mit Wirkung vom Beginn des 1.2.1992 auf die Klägerin
zu übertragen. Aufgrund der erfolgten Abtretung hält die
Klägerin seit dem 1.2.1992 die Kapitalanteile an der L-KG und
der P-KG.
Die Klägerin wurde am 19.5.1992 ins
Handelsregister eingetragen.
Die Wirtschaftsjahre der L-KG und der P-KG
entsprechen dem Kalenderjahr. Dagegen bestimmt § 5 Nr. 4 des
Gesellschaftsvertrages der Klägerin für diese ein
Geschäftsjahr vom 1. Februar bis 31. Januar des
Folgejahres.
Der Jahresabschluss der Klägerin zum
31.1.1993 wurde am 31.10.1993 aufgestellt.
Mit Erklärung zur gesonderten und
einheitlichen Feststellung von Besteuerungsgrundlagen für die
Einkommensbesteuerung für 1993 erklärte die Klägerin
einen Gewinn aus Gewerbebetrieb in Höhe von 4.052.296 DM.
Aufgrund geringfügiger Abweichungen der Einkünfte in den
Untergesellschaften stellte der Beklagte und Revisionskläger
(das Finanzamt - FA - ) den Gewinn aus Gewerbebetrieb für 1993
mit 4.101.536 DM fest.
Nach Durchführung einer
Betriebsprüfung, die auch das Streitjahr betraf, vertrat der
Betriebsprüfer die Ansicht, dass die Wahl des vom Kalenderjahr
und damit von den Wirtschaftsjahren der Untergesellschaften
abweichenden Wirtschaftsjahres durch die Klägerin einen
Missbrauch rechtlicher Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des
§ 42 Abs. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) darstelle.
Dem folgte das FA und stellte mit Bescheid
vom 18.12.1998, den es bereits mit Bescheid vom 21.12.1998 nach
§ 129 AO 1977 berichtigte, für 1992 einen Gewinn aus
Gewerbebetrieb der Klägerin in Höhe von 4.227.231 DM
fest.
Mit Einspruchsentscheidung vom 4.12.2001
stellte das FA zwar den Gewinn nunmehr mit 4.150.676 DM fest; im
Übrigen war der Einspruch jedoch erfolglos. Der hiergegen
erhobenen Klage gab das Finanzgericht (FG) mit den in EFG 2005,
1060 = SIS 05 28 47 veröffentlichten Gründen
statt.
Mit seiner dagegen gerichteten Revision
rügt das FA die Verletzung materiellen Rechts.
Es beantragt sinngemäß, das
Urteil des FG Münster vom 26.1.2005 1 K 24/02 F aufzuheben und
die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist unbegründet
und daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
Zu Recht ist das FG davon ausgegangen, dass
die Klägerin gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2
des Einkommensteuergesetzes in der für das Streitjahr
gültigen Fassung (EStG) ihr Wirtschaftsjahr vom 1. Februar bis
31. Januar des Folgejahres wählen durfte.
1. Gemäß § 2 Abs. 7 Satz 1
EStG ist die Einkommensteuer eine Jahressteuer. Die tarifliche
Einkommensteuer i.S. des § 32a Abs. 1 Satz 1 EStG bemisst sich
dabei nach dem zu versteuernden Einkommen (§ 2 Abs. 5 EStG).
Die Einkommensteuer wird nach Ablauf des Kalenderjahres
(Veranlagungszeitraum) nach dem Einkommen veranlagt, das der
Steuerpflichtige in diesem Veranlagungszeitraum bezogen hat (§
25 Abs. 1 EStG). Bestandteile des Einkommens sind dabei auch die
einzelnen Einkünfte aus den sieben Einkunftsarten (§ 2
Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 7 EStG). Diese Einkünfte müssen
ebenfalls für einen bestimmten Zeitraum ermittelt werden, der
grundsätzlich dem Kalenderjahr entspricht.
Eine Ausnahme hiervon sieht § 4a EStG
für Land- und Forstwirte und Gewerbetreibende vor, die ihren
steuerlichen Gewinn nach einem von dem Kalenderjahr abweichenden
Wirtschaftsjahr ermitteln können. Nach § 4a Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 EStG ist das Wirtschaftsjahr bei Gewerbetreibenden, deren
Firma im Handelsregister eingetragen ist, der Zeitraum, für
den sie regelmäßig Abschlüsse machen.
2. a) Gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2
Nr. 2 EStG durfte die Klägerin, die zumindest wegen ihrer
gewerblichen Prägung i.S. des § 15 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2
EStG Gewerbetreibende und seit dem 19.5.1992 auch ins
Handelsregister eingetragen ist, den Zeitraum, für den sie
regelmäßig Abschlüsse macht, als Wirtschaftsjahr
bestimmen (Urteile des Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16.12.2003 VIII
R 89/02, BFH/NV 2004, 936 = SIS 04 22 67, und vom 16.2.1989 IV R
307/84, BFH/NV 1990, 632, unter 2. der Gründe; K.-H. Bauer in
Herrmann/Heuer/Raupach - HHR -, § 4a EStG Anm. 4 und 47).
b) Dabei umfasst der Zeitraum, für den
die Klägerin regelmäßig Abschlüsse i.S. des
§ 242 Abs. 3 des Handelsgesetzbuches (HGB) macht,
grundsätzlich zwölf Monate (§ 240 Abs. 2 Satz 2 HGB,
§ 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG). Das handelsrechtlich
gewählte Geschäftsjahr gilt bei Erfüllung der
weiteren Voraussetzungen des § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG
wegen § 5 Abs. 1 Satz 1 EStG auch für das
(steuerrechtliche) Wirtschaftsjahr (HHR/K.-H. Bauer, § 4a EStG
Anm. 12). Die Wahl des handels- und steuerrechtlichen
Wirtschaftsjahres übte die Klägerin in
Übereinstimmung mit der gesellschaftsvertraglichen
Vereinbarung mit der Erstellung des ersten regelmäßigen
Jahresabschlusses am 31.10.1993 aus (vgl. zu Letzterem BFH-Urteil
in BFH/NV 1990, 632, unter 2. der Gründe).
3. Durch die Wahl des Wirtschaftsjahres vom
1.2.1992 bis 31.1.1993 hat die Klägerin auch kein Steuergesetz
i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO 1977 umgangen.
a) Eine Umgehung i.S. des § 42 Abs. 1
Satz 1 AO 1977 ist nach ständiger Rechtsprechung gegeben, wenn
eine Gestaltung gewählt wird, die - gemessen an dem erstrebten
Ziel - unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch
wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe
nicht zu rechtfertigen ist (ständige Rechtsprechung; vgl. z.B.
Beschluss des Großen Senats des BFH vom 29.11.1982 GrS 1/81,
BFHE 137, 433, BStBl II 1983, 272 = SIS 83 07 37, unter C.III. der
Gründe; BFH-Urteile vom 18.12.1991 XI R 40/89, BFHE 166, 550,
BStBl II 1992, 486 = SIS 92 10 22; vom 26.3.1996 IX R 51/92, BFHE
180, 330, BStBl II 1996, 443 = SIS 96 16 06, und vom 16.9.2004 IV R
11/03, BFHE 207, 274, BStBl II 2004, 1068 = SIS 04 39 56, unter 2.a
der Gründe, m.w.N.).
b) Dem Steuerpflichtigen ist es dabei
grundsätzlich nicht verwehrt, seine rechtlichen
Verhältnisse so zu gestalten, dass sich eine möglichst
geringe steuerliche Belastung ergibt (BFH-Beschluss in BFHE 137,
433, BStBl II 1983, 272 = SIS 83 07 37; BFH-Urteil in BFHE 166,
550, BStBl II 1992, 486 = SIS 92 10 22). Die vom Steuerpflichtigen
gewählte Rechtsgestaltung ist der Besteuerung jedoch dann
nicht zugrunde zu legen, wenn sie ausschließlich der
Steuerminderung dient und bei sinnvoller, Zweck und Ziel der
Rechtsordnung berücksichtigender Auslegung des Gesetzes
missbilligt wird (ständige Rechtsprechung; vgl. BFH-Urteile in
BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486 = SIS 92 10 22; vom 20.3.2002 I R
63/99, BFHE 198, 506, BStBl II 2003, 50 = SIS 02 84 92, unter
B.II.1.a der Gründe; vom 8.5.2003 IV R 54/01, BFHE 202, 219,
BStBl II 2003, 854 = SIS 03 34 44, und in BFH/NV 2004, 936 = SIS 04 22 67, m.w.N.).
aa) Bei der Überprüfung, ob die Wahl
des Wirtschaftsjahres durch einen im Handelsregister eingetragenen
Gewerbetreibenden einen Missbrauch rechtlicher
Gestaltungsmöglichkeiten i.S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 AO
1977 darstellt, ist zu berücksichtigen, dass das
Wirtschaftsjahr i.S. des § 4a EStG im Regelfall zwölf
Monate umfasst (§ 51 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. b EStG, § 8b
Satz 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung 1990 i.d.F.
vom 28.7.1992 - EStDV 1990 -, BGBl I 1992, 1418, BStBl I 1992, 498;
HHR/K.-H. Bauer, § 4a EStG Anm. 14). Davon sind zwar in §
8b Satz 2 Nr. 1 und 2 EStDV 1990 Ausnahmen zugelassen. Gerade
aufgrund des Regel-Ausnahmeverhältnisses lässt sich
daraus jedoch nicht ableiten, dass die Klägerin verpflichtet
gewesen wäre, ein Rumpfwirtschaftsjahr vom 1.2.1992 bis
31.12.1992 zu bilden (zur Vermeidung eines
Rumpfgeschäftsjahres als maßgeblichen Grund für die
Wahl des Wirtschaftsjahres vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 936 =
SIS 04 22 67, unter 2.b der Gründe).
bb) Zudem hat der Gesetzgeber - wie das FG
zutreffend ausführt - mit der Regelung des § 4a Abs. 1
Satz 2 Nr. 2 EStG die erstmalige Wahl des Wirtschaftsjahres
ausdrücklich in die Disposition des Gewerbetreibenden
gestellt. Des Einvernehmens des FA bedarf es nur bei der Umstellung
des Wirtschaftsjahres gemäß § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr.
2 Satz 2 EStG. Zwar war im Gesetzesentwurf der Bundesregierung zum
Dritten Steuerreformgesetz vom 9.1.1974 (vgl. BTDrucks 7/1470, 19)
in § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 Satz 2 EStG vorgesehen, dass eine
ins Handelsregister eingetragene Firma als Wirtschaftsjahr einen
anderen Zwölfmonatszeitraum als das Kalenderjahr wählen
kann, wenn für die Wahl dieses anderen Zeitraums wichtige
betriebliche Gründe vorliegen und das FA zustimmt. Gleichwohl
hat der Gesetzgeber die Wahl des Wirtschaftsjahres in § 4a
Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG i.d.F. des Einkommensteuerreformgesetzes
1974 vom 5.8.1974 nicht von diesen Voraussetzungen abhängig
gemacht und die bis dahin gültige Regelung des § 2 Abs. 5
Nr. 2 EStG 1974, die inhaltlich § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG
entspricht, in § 4a Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 EStG 1975
übernommen (dazu auch HHR/K.-H. Bauer, § 4a EStG Anm. 3;
Zimmermann, EFG 2005, 1062).
c) Die Wahl eines abweichenden
Wirtschaftsjahres durch eine Personen-Obergesellschaft kann sich
danach zwar ausnahmsweise als rechtsmissbräuchlich darstellen,
wenn die Gesellschaft ohne branchenspezifische oder sonstige
plausible Gründe ihr Wirtschaftsjahr in der Weise festlegt,
dass dadurch eine einjährige Steuerpause eintritt; dabei kann
nicht eingewandt werden, dass es angesichts einer Neugründung
unbenommen bleiben müsse, das Wirtschaftsjahr frei zu
wählen (BFH-Urteil in BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486 = SIS 92 10 22).
Im Streitfall hat die Klägerin jedoch
einen plausiblen Grund für die Festlegung des
Wirtschaftsjahres vom 1.2.1992 bis 31.1.1993, das damit einen Monat
nach den Wirtschaftsjahren der L-KG und P-KG endet. Dabei kann
dahinstehen, ob die vom FG angeführten Gründe der
speziellen innerbetrieblichen Struktur sowie der komplexe
Gründungsablauf der Klägerin in diesem Sinne plausibel
sind. Die Wahl des zwölfmonatigen Wirtschaftsjahres durch die
Klägerin stellt sich nämlich schon deshalb als plausibel
dar, weil dadurch ein Rumpfwirtschaftsjahr verhindert wird (vgl.
BFH-Urteil in BFH/NV 2004, 936 = SIS 04 22 67, unter II.2.b der
Gründe).
Daher weicht die Entscheidung des Senats auch
weder von dem BFH-Urteil in BFHE 166, 550, BStBl II 1992, 486 = SIS 92 10 22 noch von jenem in BFH/NV 2004, 936 = SIS 04 22 67 ab.
Entgegen der Auffassung des FA beginnt das auch für das
Steuerrecht maßgebliche handelsrechtliche Geschäftsjahr
nicht erst mit der Eintragung im Handelsregister am 19.5.1992. Der
Kaufmann bestimmt das Geschäftsjahr vielmehr durch
Organisationsakt selbst. Im Streitfall ist dies durch die
gesellschaftsvertragliche Vereinbarung geschehen, die durch die
Aufstellung des ersten Jahresabschlusses auf den 31.1.1993
bestätigt wurde.