Ausbildung, Vertragsstrafe: Die Zahlung einer in einem Ausbildungsverhältnis begründeten Vertragsstrafe kann zu Erwerbsaufwendungen (Werbungskosten oder Betriebsausgaben) führen. - Urt.; BFH 22.6.2006, VI R 5/03; SIS 06 37 90
I. Streitig ist, ob und in welcher
Höhe eine für das vorzeitige Ausscheiden eines Mediziners
aus dem öffentlichen Gesundheitsdienst verwirkte und gezahlte
Vertragsstrafe einkommensteuerlich zu berücksichtigen
ist.
Der verheiratete Kläger und
Revisionskläger (Kläger) war bis 31.12.1995 als Arzt im
öffentlichen Gesundheitsdienst tätig und erzielte hieraus
Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Im Streitjahr
1996 war er als Chirurg selbständig tätig und wurde mit
seiner Ehefrau zur Einkommensteuer zusammenveranlagt. Mit der
Einkommensteuererklärung für das Streitjahr 1996 machte
der Kläger 104.567 DM als Werbungskosten bei den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit geltend.
Grundlage hierfür war die Zahlung einer Vertragsstrafe in
Höhe von 100.000 DM zuzüglich Finanzierungsaufwendungen
in Höhe von 4.567 DM an den Freistaat Bayern.
Der Kläger hatte sich gegenüber
dem Freistaat Bayern mit Vertrag vom 3.7.1979 verpflichtet, sich
zum Amtsarzt ausbilden zu lassen und nach Abschluss der Ausbildung
mindestens 10 Jahre als vollbeschäftigter Arzt in
Einrichtungen und an Orten tätig zu sein, die die
zuständige Behörde bestimmt. Bei einem Ausscheiden aus
dem öffentlichen Dienst vor Ablauf der 10-jährigen
Verpflichtungszeit war eine Vertragsstrafe in Höhe von 150.000
DM zu zahlen.
Der Kläger begann das Medizinstudium
im Winter 1979 und beendete es mit der Approbation in 1985. Er war
seit 1.1.1986 im öffentlichen Dienst nichtselbständig als
Arzt tätig und absolvierte dort eine Weiterbildung zum
Facharzt (Chirurg). Für diese Weiterbildungsmaßnahme
wurde der Vertrag vom 3.7.1979 durch weitere Vereinbarungen dahin
ergänzt, dass der Kläger nach Abschluss der
Weiterbildungsmaßnahme 10 Jahre im öffentlichen Dienst
tätig sein solle. Die ursprüngliche Vertragsstrafe wurde
um 25.000 DM auf 175.000 DM erhöht. Nachdem der Kläger
diese Fortbildungsmaßnahme am 18.9.1992 abgeschlossen hatte,
wurde er durch eine weitere Fortbildungsmaßnahme zum
Unfallchirurgen ausgebildet. Für diese
Weiterbildungsmaßnahme wurde vereinbart, dass die
Vertragsstrafen weiterhin anwendbar seien, aber zwei Jahre der
Weiterbildungszeit auf die Verpflichtungszeit von 10 Jahren
anzurechnen wären. Der Kläger beendete diese
Weiterbildungsmaßnahme am 31.12.1995.
Der Kläger schied zum 31.12.1995 aus
dem öffentlichen Dienst aus. Die zunächst in Höhe
von 175.000 DM fällig gestellte Vertragsstrafe wurde durch
Vereinbarung auf 100.000 DM ermäßigt.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) berücksichtigte die als Werbungskosten
geltend gemachten Vertragsstrafenzahlung im streitigen
Einkommensteuerbescheid für 1996 nicht. Das
Einspruchsverfahren hatte nur insoweit Erfolg, als das FA danach
Aufwendungen in Höhe von 1.800 DM als Ausbildungskosten i.S.
des § 10 Abs. 1 Nr. 7 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
ansetzte.
Die dagegen erhobene Klage war nur
teilweise erfolgreich. Das Finanzgericht (FG) erkannte die geltend
gemachten Aufwendungen nur zu einem Anteil von 1/7 als
Werbungskosten an und wies im Übrigen die Klage aus den in EFG
2003, 446 = SIS 03 16 15 veröffentlichten Gründen
ab.
Mit der vom FG zugelassenen Revision
rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Er
beantragt, das Urteil des FG aufzuheben und den angefochtenen
Einkommensteuerbescheid dahin gehend zu ändern, dass die
Einkommensteuer auf 0 DM herabgesetzt wird.
Das FA beantragt, die Revision aus den
Gründen des angefochtenen Urteils zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Sie
führt zur Änderung des angefochtenen Urteils und zur
antragsgemäßen Entscheidung in der Sache (§ 126
Abs. 3 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die geltend
gemachten Aufwendungen sind als Erwerbsaufwendungen
(Betriebsausgaben oder Werbungskosten) einkünftemindernd zu
berücksichtigen.
1. a) § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG definiert
Werbungskosten als Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und
Erhaltung der Einnahmen. Die Rechtsprechung hat den
Werbungskostenbegriff dem Begriff der Betriebsausgaben nach §
4 Abs. 4 EStG angeglichen. Werbungskosten wie Betriebsausgaben
liegen danach vor, wenn sie durch den Beruf bzw. durch die
Erzielung steuerpflichtiger Einnahmen veranlasst sind. Eine
berufliche Veranlassung ist gegeben, wenn ein objektiver
Zusammenhang mit dem Beruf besteht und die Aufwendungen subjektiv
zur Förderung des Berufs getätigt werden.
b) Danach sind die Zahlungen des Klägers
zur Erfüllung der Vertragsstrafe im Streitfall als
Betriebsausgaben i.S. des § 4 Abs. 4 EStG oder als
Werbungskosten i.S. des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG zu
berücksichtigen. Der Senat kann dahinstehen lassen, ob die
Zahlungen im Sinne eines wirtschaftlich vorrangigen
Veranlassungszusammenhangs einen engeren Bezug zu den
Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit oder aus
selbständiger Arbeit haben. Denn wenn die Zahlungen
wirtschaftlich vorrangig nicht durch die vom Kläger
angestrebte Tätigkeit als selbständiger Chirurg, sondern
vorrangig dadurch veranlasst gewesen sein sollten, dass er seine
nichtselbständige Tätigkeit als Arzt im öffentlichen
Gesundheitsdienst vertragswidrig nicht fortgeführt hatte, sind
diese Zahlungen als nachträgliche Werbungskosten zu
berücksichtigen.
c) Die einkünftemindernde
Berücksichtigung dieser Zahlungen als nachträgliche
Werbungskosten scheitert entgegen der Auffassung des FG
insbesondere nicht daran, dass sie in Zusammenhang mit der
Ausbildung des Klägers zum Arzt stehen. Denn wenn Aufwendungen
einen erwerbsbezogenen Veranlassungszusammenhang aufweisen, kommt
es nicht mehr darauf an, ob diese Aufwendungen durch einen schon
ausgeübten Beruf oder durch einen erstmals angestrebten neuen
Beruf veranlasst worden waren (vgl. Urteil des Bundesfinanzhofs -
BFH - vom 4.12.2002 VI R 120/01, BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403
= SIS 03 07 74). Insbesondere entfaltet der
Sonderausgabentatbestand des § 10 Abs. 1 Nr. 7 EStG keine
Sperrwirkung dahin gehend, dass der Werbungskostenabzug nach §
9 Abs. 1 EStG bei einer erstmaligen Berufsausbildung stets
ausgeschlossen wird. Denn nach § 10 Abs. 1 Satz 1 EStG sind
Aufwendungen des Steuerpflichtigen für seine Berufsausbildung
nur dann als beschränkt abziehbare Sonderausgaben zu
behandeln, „wenn sie weder Betriebsausgaben noch
Werbungskosten sind“ (vgl. im Einzelnen Urteile des
Senats in BFHE 201, 156, BStBl II 2003, 403 = SIS 03 07 74; vom
17.12.2002 VI R 137/01, BFHE 201, 211, BStBl II 2003, 407 = SIS 03 07 75; vom 27.5.2003 VI R 33/01, BFHE 202, 314, BStBl II 2004, 884
= SIS 03 29 58; vom 26.1.2005 VI R 71/03, BFHE 208, 572, BStBl II
2005, 349 = SIS 05 16 32, m.w.N.).
2. Das FG ist von anderen
Rechtsgrundsätzen ausgegangen, die Vorentscheidung war daher
entsprechend zu ändern. Die Sache ist spruchreif. Die
Einkommensteuer ist im Sinne des Klageantrags unter
Berücksichtigung der geltend gemachten Aufwendungen
festzusetzen.