Kunst, Beurteilung, Sachkunde: Die Entscheidung über das Vorliegen einer künstlerischen Tätigkeit erfordert im Bereich der Grenz- und Übergangsfälle besondere Sachkunde. Holt das Gericht in solchen Fällen kein Sachverständigengutachten ein, muss dies für die Verfahrensbeteiligten erkennbar sein. Die besondere Sachkunde des Gerichts muss sodann in den Urteilsgründen auch nachprüfbar dargelegt werden. Soweit sich dem Urteil vom 26.2.1987 IV R 105/85 (BFHE 149 S. 231, BStBl 1987 II S. 376 = SIS 87 12 45) etwas anderes entnehmen lässt, hält der Senat daran nicht fest. - Urt.; BFH 1.6.2006, IV B 200/04; SIS 06 34 99
I. Der Kläger und
Beschwerdeführer (Kläger) ist seit 1962 als
Graphikdesigner unter der Fa. „XY Werbung“
selbständig tätig. Zuvor hatte er an der Werkkunstschule
A eine Ausbildung zum Gebrauchs- und freien Graphiker
abgeschlossen. Er entwirft graphische Darstellungen zu Werbezwecken
und Gesamtkonzepte für Messestände oder Ausstellungen. Je
nach Auftrag dienen als Medium Filme, Anzeigen, Plakate, Prospekte
oder Plastiken. In der Regel erstellt er drei oder vier
Entwürfe, von denen der Kunde einen auswählt. Zum Teil
erfolgt anschließend im Rahmen eines weiteren Auftrages die
Umsetzung, für die er in der Regel Anzeigen- oder
Provisionserlöse erhält.
Der Kläger sah die Erstellung der
Entwürfe als künstlerische Tätigkeit i.S. des §
18 Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG) an, während
er die Umsetzung als gewerbliche Tätigkeit behandelte.
Der Beklagte und Beschwerdegegner (das
Finanzamt - FA - ) gelangte nach einer Betriebsprüfung zu der
Auffassung, dass die Tätigkeit insgesamt gewerblich sei, da
sie den Werbeinteressen der Kunden diene und wegen der Vorgaben der
auftraggebenden (Sanitär-)Unternehmen nicht über die
erforderliche künstlerische Gestaltungshöhe
verfüge.
Mit seiner Klage machte der Kläger
geltend, es handle sich um eigenschöpferische Leistungen, in
denen sich seine individuelle Anschauungsweise und Gestaltungskraft
ausdrücke; die Gestaltungshöhe gehe über gewisse
Techniken hinaus. Er reichte beim Finanzgericht (FG) eine Mappe mit
Arbeitsproben ein, bei denen es sich vornehmlich um Werbeprospekte
handelte, und legte in der mündlichen Verhandlung Fotos
weiterer Arbeiten einschließlich zweier Plastiken
vor.
Das FG wies die Klage als unbegründet
ab. Es legte die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten
Grundsätze zur selbständig ausgeübten
künstlerischen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1
Satz 2 EStG bei zweckfreier Kunst einerseits und Gebrauchskunst
andererseits dar (u.a. Hinweis auf die Senatsentscheidungen vom
15.10.1998 IV R 1/97, BFH/NV 1999, 465 = SIS 98 51 48; vom
10.9.1998 IV R 70/97, BFH/NV 1999, 456 = SIS 98 51 30; vom
19.2.1998 IV R 50/96, BFHE 185, 400, BStBl II 1998, 441 = SIS 98 15 31). Das FG führte sodann aus, dass die Beurteilung, ob die
vom Kläger zu Werbe- bzw. Gebrauchszwecken gestalteten
Arbeiten als Kunst i.S. des § 18 EStG eingeordnet werden
könnten, besondere Sachkunde erfordere; es legte weiter dar,
dass die Senatsmitglieder über die erforderliche Sachkunde
verfügten, wie den Beteiligten in der mündlichen
Verhandlung, in der die Streitsache sachkundig erörtert worden
sei, zu erkennen gegeben worden sei. Der Einholung eines
Sachverständigengutachtens habe es deshalb nicht bedurft (u.a.
Hinweis auf das Senatsurteil vom 26.2.1987 IV R 105/85, BFHE 149,
231, BStBl II 1987, 376 = SIS 87 12 45, zum
Büttenredner).
Die zu Werbe- und sonstigen
Gebrauchszwecken erstellten Arbeiten des Klägers genügten
nicht den hohen Anforderungen, die die Rechtsprechung an eine
Anerkennung der sog. Gebrauchskunst als künstlerisch i.S. des
§ 18 Abs. 1 Nr. 1 EStG stelle. Zwar seien eine besondere
Kreativität des Klägers und hohe technische
Fähigkeiten erkennbar; in gewisser Weise seien auch
eigenschöpferische Leistungen eingeflossen. Das reiche jedoch
nicht aus. Es fehle der für eine gewisse Gestaltungshöhe
erforderliche Abstraktionsgrad. Die zu verwendenden Materialien und
Formen seien vorgegeben, ebenso der Zweck; daher sei ein
Abstrahieren nur begrenzt möglich gewesen. Die Bindungen durch
Produkt- und Gebrauchszweck seien so deutlich prägend, dass
keine abstrakte Aussage erkennbar werde. Die Revision sei nicht
zuzulassen. Der Senat habe die Abgrenzung zwischen gewerblicher und
künstlerischer Tätigkeit nach Gesamtabwägung aller
Umstände des Einzelfalls unter Anwendung der von der
höchstrichterlichen Rechtsprechung entwickelten
Grundsätze vorgenommen.
Mit seiner dagegen gerichteten Beschwerde
macht der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der
Rechtssache geltend. Weiter stehe das FG-Urteil im Widerspruch zur
höchstrichterlichen Rechtsprechung (u.a. zum Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 19.6.1968 I R 25/67, BFHE 92, 336,
BStBl II 1968, 543 = SIS 68 03 66).
Schließlich beruhe das angefochtene
Urteil auch auf Verfahrensfehlern. Das FG habe insbesondere auf die
Einholung eines Sachverständigengutachtens verzichtet, obwohl
er, der Kläger, dies in der Klageschrift und in einem weiteren
Schreiben beantragt habe. Das Erreichen einer „gewissen
künstlerischen Gestaltungshöhe“ könne nur
anhand besonderer Sachkunde beurteilt werden. Dazu sei
regelmäßig die Einholung von
Sachverständigengutachten erforderlich. Bei den
Oberfinanzdirektionen (OFD) seien zu diesem Zweck
Gutachterausschüsse eingerichtet (Hinweis auf Schmidt/Wacker,
EStG, 25. Aufl., § 18 Rz. 70).
II. Die Beschwerde ist nicht
begründet.
Weder kommt der Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung zu (dazu unter 1.) oder weicht das
angefochtene Urteil von anderer Rechtsprechung ab (2.) noch beruht
die Vorentscheidung auf einem Verfahrensmangel (3.).
1. Eine Rechtsfrage hat grundsätzliche
Bedeutung, wenn ihre Beantwortung durch den BFH aus Gründen
der Rechtssicherheit, der Rechtseinheitlichkeit oder der
Rechtsentwicklung im allgemeinen Interesse liegt. Dabei soll es
sich um eine aus rechtssystematischen Gründen bedeutsame Frage
handeln, die klärungsbedürftig und im zu erwartenden
Revisionsverfahren klärungsfähig sein muss (vgl. u.a.
Senatsbeschluss vom 9.9.2005 IV B 6/04, BFH/NV 2006, 22 = SIS 06 02 33, zu Nr. 1; Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl.,
§ 115 Rz. 23, m.w.N.). Die bloße Behauptung, dass eine
gesetzliche Regelung in unzulässiger Weise
verfassungsrechtlich geschützte Rechtspositionen
einschränke oder verfassungsrechtlich zweifelhaft sei, reicht
allerdings zur Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung nicht
aus (vgl. u.a. BFH-Beschluss vom 24.2.2005 VII B 140/04, BFH/NV
2005, 1238 = SIS 05 31 54).
Eine Rechtsfrage ist nicht
klärungsbedürftig, wenn sie bereits durch die
Rechtsprechung des BFH hinreichend geklärt ist und keine neuen
Gesichtspunkte erkennbar sind, die eine erneute Prüfung und
Entscheidung durch den BFH erforderlich machen (Gräber/Ruban,
a.a.O., § 115 Rz. 28; Senatsbeschluss vom 31.8.2005 IV B
24/04, BFH/NV 2006, 91 = SIS 06 02 93).
a) Nach Auffassung des Klägers kommt der
Rechtsfrage grundsätzliche Bedeutung zu, ob das durch die
Rechtsprechung eingeführte Tatbestandsmerkmal der
„gewissen Gestaltungshöhe“ zur Abgrenzung
der künstlerischen von der gewerblichen Tätigkeit bei
sog. Gebrauchskunst verfassungsrechtlich zulässig sei; es sei
wertungswidersprüchlich und verstoße gegen die
Kunstfreiheit gemäß Art. 5 Abs. 3 Satz 1 des
Grundgesetzes (GG) und den Gleichheitsgrundsatz gemäß
Art. 3 Abs. 1 GG, eine solche Qualitätsanforderung bei einem
Teil der künstlerischen Tätigkeit (der sog.
Gebrauchskunst) aufzustellen, bei einem anderen Teil der
künstlerischen Tätigkeit (zweckfreie Kunst) und bei der
schriftstellerischen Tätigkeit dagegen nicht (Hinweis auf
Schmidt/Wacker, a.a.O., § 18 Rz. 67; Heuer, DStR 1983, 638;
Kempermann, FR 1992, 250, 252).
b) Der BFH hat jedoch bereits entschieden,
dass die Auslegung des Tatbestandsmerkmals
„künstlerische Tätigkeit“ durch die
höchstrichterliche Rechtsprechung den Anforderungen des Art. 5
Abs. 3 GG in gebotenem Maße Rechnung trägt. Er hat sich
dabei ausdrücklich mit der in der Literatur vertretenen
Auffassung, die Prüfung der „künstlerischen
Gestaltungshöhe“ sei nicht zulässig,
auseinander gesetzt und ist ihr nicht gefolgt (BFH-Urteil vom
23.9.1998 XI R 71/97, BFH/NV 1999, 460 = SIS 98 51 37, unter
II.1.c, bb).
Neue Gesichtspunkte, die eine erneute
Entscheidung des BFH erforderlich erscheinen ließen, ergeben
sich aus der Beschwerdebegründung nicht. Das gilt auch, soweit
darin eine Ungleichbehandlung der Gebrauchskunst gegenüber
zweckfreier Kunst geltend gemacht wird. Denn im letzteren Falle
stellt sich die Frage einer gewerblichen Tätigkeit
grundsätzlich nicht, so dass das Kriterium der
„gewissen Gestaltungshöhe“ entbehrlich
ist.
c) Soweit der Kläger geltend macht, das
FG habe abweichend von der bisherigen Rechtsprechung als weiteres
Tatbestandsmerkmal einer künstlerischen Tätigkeit im
Falle der sog. Gebrauchskunst verlangt, dass es sich um Werke mit
unverwechselbarem Charakter handeln müsse, die sich als
eigenständige Objekte auf dem Kunstmarkt behaupten
könnten, ergibt sich daraus ebenfalls keine
grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache. Denn das FG hat sich
ausdrücklich auf die von der höchstrichterlichen
Rechtsprechung entwickelten Kriterien zur Abgrenzung der
künstlerischen von einer gewerblichen Tätigkeit
gestützt und diese auf den Streitfall angewendet. In diesem
Zusammenhang hat es zwar auch darauf abgestellt, dass die vom
Kläger gefertigten Objekte nicht losgelöst vom
Werbeprodukt einen eigenen Bestand als Kunstwerk hätten; das
ist im Rahmen der vom FG vorzunehmenden Beurteilung der
tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles jedoch nicht
zu beanstanden.
2. Deswegen ist das FG auch nicht vom
BFH-Urteil in BFHE 92, 336, BStBl II 1968, 543 = SIS 68 03 66
abgewichen.
3. Es liegt schließlich auch kein
Verfahrensmangel vor, auf dem das angefochtene Urteil beruhen kann
(§ 115 Abs. 2 Nr. 3 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ).
a) Ein Verfahrensmangel ergibt sich nicht
daraus, dass das FG dem schriftsätzlich gestellten Antrag des
Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens
nicht gefolgt ist. Denn dazu hätte der Kläger auch
darlegen müssen, dass die Nichterhebung des angebotenen
Beweises in der mündlichen Verhandlung gerügt wurde oder
weshalb diese Rüge nicht möglich war (vgl. u.a.
Senatsbeschluss vom 24.8.2005 IV B 61/04, BFH/NV 2006, 85 = SIS 06 02 88).
Daran fehlt es. Das FG hatte bis zur
mündlichen Verhandlung kein Sachverständigengutachten
eingeholt, wie für die Prozessbevollmächtigten des
Klägers ohne weiteres erkennbar war. In der mündlichen
Verhandlung wurde - wie sich sowohl aus dem angefochtenen Urteil
als auch aus der Beschwerde ergibt - über die
künstlerische Einordnung der vom Kläger gefertigten
Objekte gesprochen. Anhaltspunkte dafür, dass das FG die
Einholung eines Sachverständigengutachtens in Aussicht
gestellt hätte, ergeben sich aus dem Vortrag des Klägers
nicht. Ein ausdrücklicher Hinweis darauf, dass das FG dies
nicht beabsichtigte, war unter diesen Umständen nicht
erforderlich. Wenn der Kläger gleichwohl der Auffassung war,
dass es der Einholung eines Sachverständigengutachtens
bedurfte, hätte er die Unterlassung rügen müssen.
Das ist ausweislich des Protokolls über die mündliche
Verhandlung nicht geschehen; der Beweisantrag wurde in der
mündlichen Verhandlung auch nicht wiederholt.
b) Das FG hat auch weder die
Sachaufklärungspflicht noch in diesem Zusammenhang den
Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt. Zwar
erfordert die Entscheidung über das Vorliegen einer
künstlerischen Tätigkeit i.S. des § 18 Abs. 1 Nr. 1
EStG nach ständiger Rechtsprechung des BFH insbesondere im
Bereich der Grenz- und Übergangsfälle besondere Sachkunde
(vgl. u.a. BFH-Urteile vom 29.7.1981 I R 183/79, BFHE 134, 135,
BStBl II 1982, 22 = SIS 82 04 32; vom 14.12.1976 VIII R 76/75, BFHE
121, 410, BStBl II 1977, 474 = SIS 77 02 63, und in BFHE 92, 336,
BStBl II 1968, 543 = SIS 68 03 66). Das Gericht muss sich diese
verschaffen, sofern es sie nicht in dem konkret erforderlichen
Maße selbst besitzt; dazu kann insbesondere die Einholung
eines Sachverständigengutachtens erforderlich sein (s. hierzu
wiederum die BFH-Urteile in BFHE 134, 135, BStBl II 1982, 22 = SIS 82 04 32; in BFHE 121, 410, BStBl II 1977, 474 = SIS 77 02 63, und
in BFHE 92, 336, BStBl II 1968, 543 = SIS 68 03 66). Holt das
Gericht in Grenz- und Übergangsfällen kein
Sachverständigengutachten ein, muss dies für die
Verfahrensbeteiligten erkennbar sein; die besondere Sachkunde des
Gerichts muss dann in den Urteilsgründen nachprüfbar
dargelegt werden (BFH-Urteil in BFHE 134, 135, BStBl II 1982, 22 =
SIS 82 04 32). Soweit sich aus dem Senatsurteil in BFHE 149, 231,
BStBl II 1987, 376 = SIS 87 12 45 über den entschiedenen Fall
eines Büttenredners oder vergleichbare Fälle hinaus etwas
anderes ergeben sollte, hält der Senat daran nicht fest.
Das FG hat nach den Feststellungen im
angefochtenen Urteil in der mündlichen Verhandlung zu erkennen
gegeben, dass es nach eigener Auffassung selbst über die im
Streitfall erforderliche Sachkunde verfügte. Die Gründe
dafür hat es im angefochtenen Urteil dargelegt. Es war
für den rechtskundig vertretenen Kläger erkennbar, dass
das FG von der Einholung eines Sachverständigengutachtens
absehen würde. Wenn der Kläger ausweislich des Protokolls
der mündlichen Verhandlung gleichwohl weder den Beweisantrag
wiederholt noch die unterlassene Beweiserhebung gerügt hat,
war eine weitere Sachaufklärung nicht geboten.