DBA-Singapur, Remittance-Base-Klausel: Vergütungen aus Arbeit i.S. von Art. 14 DBA-Singapur "stammen" i.S. von Art. 21 DBA-Singapur aus Deutschland, wenn sie von einem hier ansässigen Arbeitgeber als Vergütung für die Tätigkeit in Singapur gezahlt werden. - Urt.; BFH 22.2.2006, I R 14/05; SIS 06 34 97
I.
Streitig ist der Umfang der inländischen Steuerfreistellung
für Arbeitslohn einer von einem inländischen Arbeitgeber
nach Singapur entsandten Arbeitnehmerin.
Die
Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) war im
Streitjahr 2001 bei einem inländischen Arbeitgeber angestellt.
Vom 1. März bis zum 31. Dezember war sie für ihren
Arbeitgeber bei einer Tochtergesellschaft in Singapur tätig.
In der Zeit ihrer örtlichen Abwesenheit von Deutschland
verblieben die Einrichtungsgegenstände in der eigenen und
selbst genutzten Eigentumswohnung im Inland.
Die Klägerin erzielte im Streitjahr
Arbeitslohn in Höhe von 171.403 DM. Davon entfiel auf den
Zeitraum ab dem 1. März ein Betrag von 154.907 DM. Nach einer
Bestätigung des Arbeitgebers vom 29.10.2002 behielt dieser
einen Betrag von 48.230 DM ein (Zahlung auf ein inländisches
Konto der Klägerin damit nur 106.677 DM), da die Klägerin
von der ausländischen Tochtergesellschaft des Arbeitgebers
monatlich einen Betrag von umgerechnet 4.823 DM erhielt. Dieser
monatliche Betrag von 4.823 DM wurde bei seiner Auszahlung in
Singapur versteuert.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) erfasste im Einkommensteuerbescheid
steuerpflichtige Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit in
Höhe von 123.172 DM und nur den in Singapur zugeflossenen
Arbeitslohn (48.230 DM) als steuerfreie - und dem
Progressionsvorbehalt unterliegende - Bezüge.
Der Klage auf Herabsetzung der
Einkommensteuer gab das Finanzgericht (FG) Baden-Württemberg
durch Urteil vom 11.1.2005 14 K 94/03 (veröffentlicht in EFG
2005, 1594 = SIS 05 42 62) statt, indem es den Gesamtbetrag der auf
den Zeitraum ab 1. März entfallenden Einnahmen als steuerfreie
Bezüge ansetzte.
Mit der Revision rügt das FA eine
unzutreffende Anwendung materiellen Rechts.
Das FA beantragt sinngemäß, das
Urteil aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist begründet. Das
Urteil des FG wird aufgehoben und die Sache zur anderweitigen
Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen (§ 126 Abs.
3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Die bisher
getroffenen Feststellungen lassen keine abschließende
Entscheidung darüber zu, ob der auf die Beschäftigung im
Ausland entfallende und im Inland ausgezahlte Teil des Gehalts der
Klägerin in Deutschland steuerpflichtig und nicht nur im Wege
des sog. Progressionsvorbehalts zu erfassen ist.
1. Das FG ist zutreffend von der
unbeschränkten Steuerpflicht der Klägerin im gesamten
Streitjahr ausgegangen. Es hat dazu in tatsächlicher Hinsicht
- und den erkennenden Senat bindend (§ 118 Abs. 2 FGO) -
festgestellt, dass die Klägerin ihre Wohnung im Inland
während ihres berufsbedingten Auslandsaufenthalts unter
Umständen beibehalten hatte, die darauf schließen
ließen, dass sie die Wohnung bei sich bietender Gelegenheit
wieder benutzen wollte (s. dazu z.B. Senatsurteil vom 19.3.1997 I R
69/96, BFHE 182, 296, BStBl II 1997, 447 = SIS 97 14 80). Damit
ergibt sich die unbeschränkte Steuerpflicht der Klägerin
aus § 1 Abs. 1 Satz 1 des Einkommensteuergesetzes (EStG)
i.V.m. § 8 der Abgabenordnung (AO 1977).
2. Die unbeschränkte Steuerpflicht
erfasst alle Einkünfte der Klägerin und damit auch deren
Einnahmen aus nichtselbständiger Arbeit gemäß
§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, grundsätzlich
unabhängig davon, wo die Arbeit ausgeübt wurde. Die auf
den Zeitraum ab dem 1. März entfallenden Einnahmen können
jedoch in Deutschland nur nach Maßgabe der Regelungen des
Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Singapur zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der
Steuern vom Einkommen und vom Vermögen (DBA-Singapur) vom
19.2.1972 (BGBl II 1973, 374, BStBl I 1973, 514) der Besteuerung
unterworfen werden (zur Möglichkeit der zeitanteiligen
Aufteilung des Jahresgehalts z.B. Senatsurteil vom 29.1.1986 I R
22/85, BFHE 146, 132, BStBl II 1986, 479 = SIS 86 11 58;
Wassermeyer in Debatin/Wassermeyer, Doppelbesteuerung, MA Art. 15
Rz. 145).
3. Art. 14 Abs. 1 Satz 1 DBA-Singapur sieht
die Besteuerung von Gehältern und Löhnen im
Ansässigkeitsstaat vor. Wird die Arbeit allerdings in dem
anderen Vertragsstaat ausgeübt, „so
können“ nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 DBA-Singapur -
soweit nicht Art. 14 Abs. 2 DBA-Singapur wiederum dem
Ansässigkeitsstaat den Vorrang gibt - „die dafür
bezogenen Vergütungen in dem anderen Staat besteuert
werden“.
Im Streitfall ist die Klägerin nach den
dem Urteil des FG zugrunde liegenden Feststellungen jedenfalls nach
Art. 4 Abs. 2 Buchst. a DBA-Singapur („Mittelpunkt der
Lebensinteressen“) abkommensrechtlich als in Deutschland
ansässig anzusehen. Da die Anwendung des Art. 14 Abs. 2
DBA-Singapur nicht in Betracht kommt, weil sich die Klägerin
länger als 183 Tage während des Kalenderjahres in
Singapur aufgehalten hat, können die für die
Arbeitsleistung in Singapur („dafür“)
bezogenen Vergütungen gemäß Art. 14 Abs. 1 Satz 2
DBA-Singapur in Singapur besteuert werden. Ein abkommensrechtliches
Besteuerungsrecht Singapurs führt gemäß Art. 23
Abs. 1 Buchst. a DBA-Singapur dazu, dass die betreffenden
Einkünfte unter Progressionsvorbehalt von der deutschen
Besteuerung freigestellt sind.
4. Jedoch könnte im Streitfall Art. 21
DBA-Singapur die Besteuerung des im Inland ausgezahlten Teils der
für die Tätigkeit in Singapur geleisteten Vergütung
rechtfertigen.
a) Danach kann eine Steuerbefreiung von
Einkünften, welche aufgrund einer Bestimmung des Abkommens in
jenem Vertragsstaat, aus dem sie stammen, gewährt wird, nur
auf den Teil der Einkünfte beansprucht werden, der in den
anderen Vertragsstaat überwiesen oder dort bezogen wird.
Voraussetzung für diese Einschränkung ist, dass der
andere Vertragsstaat diese Einkünfte nach dem dort geltenden
Recht (nur) unter Zugrundelegung des Betrages besteuert, der nach
dorthin überwiesen oder dort bezogen wird, nicht aber unter
Zugrundelegung des Gesamtbetrags der Einkünfte. Hintergrund
dieser Regelung ist das sog. Remittance-Base-Prinzip im Steuerrecht
Singapurs, wonach in Singapur ansässige oder als ansässig
behandelte Personen ausländische Einkünfte in Singapur
nur zu versteuern haben, wenn diese nach Singapur überwiesen
oder dort empfangen werden (vgl. Dörrfuß in
Debatin/Wassermeyer, a.a.O., DBA-Singapur Anh. Rz. 49). Durch Art.
21 DBA-Singapur soll sichergestellt werden, dass eine im Abkommen
vorgesehene Entlastung von Quellensteuer im Ursprungsstaat sich nur
auf die im Wohnsitzstaat tatsächlich besteuerten
Einkünfte erstreckt und eine Nichtbesteuerung von
Einkünften („weiße Einkünfte“)
ausgeschlossen wird (z.B. Dörrfuß in
Debatin/Wassermeyer, a.a.O., DBA-Singapur Art. 21 Rz. 2, 6;
Fischer-Zernin, in: Becker/Höppner/Grotherr/Kroppen, DBA, Art.
21 DBA-Singapur Rz. 1 f.; Jap/Hintzen, Außenwirtschaftsdienst
des Betriebs-Beraters - AWD - 1973, 144, 155).
b) Das FG hat im Streitfall Art. 21
DBA-Singapur auf die in Rede stehenden Einkünfte der
Klägerin aus Arbeit i.S. von Art. 14 DBA-Singapur für
nicht anwendbar gehalten, da für die (den Zahlungen auf das
inländische Konto entsprechenden) Einnahmen ein
abkommensrechtliches Quellenbesteuerungsrecht fehle. Die Einnahmen
„stammten“ deswegen nicht im Sinne der
Vorschrift aus Deutschland. Dem folgt der Senat nicht.
aa) Der Regelungswortlaut des Art. 21
DBA-Singapur lässt nicht ohne weiteres erkennen, welches der
Vertragsstaat ist, aus dem die Einkünfte stammen müssen.
Die Regelungszusammenhänge belassen jedoch keinen Zweifel
daran, dass dies nur Deutschland sein kann, nicht hingegen Singapur
als der andere Vertragsstaat. Denn nur Singapur besteuert,
beeinflusst durch die englische Besteuerungstradition, nach dem
sog. Remittance-Base-Prinzip. Nur in dieser Konstellation ist
deswegen denkbar, dass das Besteuerungsrecht an Deutschland als den
Ursprungsstaat zurückfällt, weil Singapur von dem ihm
abkommensrechtlich zugewiesenen Besteuerungsrecht aufgrund seines
innerstaatlichen Steuerrechts keine Anwendung macht. Für den
umgekehrten Fall von Einkünften, die aus Singapur stammen,
läuft die Vorschrift hingegen leer.
bb) Hiervon ausgehend schränkt die
Vorschrift ihren Anwendungsbereich nicht auf solche Einkünfte
ein, für welche Singapur das ausschließliche
Besteuerungs- und Deutschland allenfalls ein (abkommensrechtliches)
Quellenbesteuerungsrecht zusteht. Einbezogen werden vielmehr -
vorbehaltlich Zinsen gemäß Art. 11 Abs. 3 DBA-Singapur -
jegliche Einkünfte, die aus Deutschland stammen und dort
aufgrund einer Bestimmung dieses Abkommens von der Steuer befreit
sind. Das aber können auch Vergütungen aus Arbeit i.S.
von Art. 14 DBA-Singapur sein, welche nach dessen Abs. 1 Satz 2 und
Abs. 2 im Tätigkeitsstaat, also in Singapur, besteuert werden
können und deswegen nach Art. 23 Abs. 1 Buchst. a Satz 1
DBA-Singapur prinzipiell von der Bemessungsgrundlage der deutschen
Steuer ausgenommen werden. Die systematische Stellung der
abkommensrechtlichen Vorbehaltsklausel im Anschluss an die
einzelnen Einkunftsarten, nicht jedoch des Art. 23 DBA-Singapur als
sog. Methodenartikel widerspricht dem nicht; Art. 21 DBA-Singapur
nimmt vorbehaltlos auf die Steuerbefreiung von Einkünften
„auf Grund einer Bestimmung dieses Abkommens“
Bezug und schließt damit die Befreiung nach Maßgabe des
Methodenartikels ein (ähnlich wie die Parallelregelung in Art.
II Abs. 2 des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und
Irland zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung
der Steuerverkürzung bei den Steuern vom Einkommen und vom
Vermögen sowie der Gewerbesteuer - DBA-Irland - vom
17.10.1962, BGBl II 1964, 267, BStBl I 1964, 320, und Art. 3 Abs. 3
des Abkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Jamaika
zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom
Einkommen und vom Vermögen vom 8.10.1974, BGBl II 1976, 1195,
BStBl I 1976, 408; insoweit aber abweichend von z.B. den
Vorbehaltsklauseln gemäß Nr. 2 des Protokolls zum
Abkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und der Republik
Zypern zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der
Steuern vom Einkommen und vom Vermögen - DBA-Zypern - vom
9.5.1977, BGBl II 1977, 489, BStBl I 1977, 341, sowie
gemäß Nr. 1 Buchst. a des Protokolls zum Abkommen
zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Trinidad und Tobago zur
Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiete der Steuern vom
Einkommen und zur Förderung des Internationalen Handels und
der internationalen Investitionstätigkeit vom 4.4.1973, BGBl
II 1975, 680, BStBl I 1975, 698). Auch der Umstand, dass
Deutschland in dieser Konstellation zugleich der
Ansässigkeitsstaat des abkommensberechtigten Steuerpflichtigen
ist, ist insofern unbeachtlich (vgl. ähnlich zu den
Parallelregelungen in Art. II Abs. 2 DBA-Irland sowie der
Vorbehaltsklausel gemäß Nr. 2 des Protokolls zum
DBA-Zypern: Rosenthal in Debatin/Wassermeyer, a.a.O., DBA-Irland
Art. II Rz. 60; Müller, ebenda, DBA-Zypern Art. 2 Rz. 18).
cc) Allerdings müssen die betreffenden
Einkünfte aus Deutschland „stammen“. Im
Schrifttum wird teilweise vertreten, dies sei im Rahmen von
Abkommensregelungen nur dann der Fall, wenn die Einkünfte in
dem betreffenden Vertragsstaat erwirtschaftet werden. Für
Einkünfte aus nichtselbständiger bzw.
unselbständiger Arbeit i.S. von Art. 15 des
OECD-Musterabkommens 1977/2003 zur Vermeidung der Doppelbesteuerung
auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen sei
dies grundsätzlich der Tätigkeitsstaat, da die
Tätigkeit dort physisch ausgeübt werde und der
Tätigkeitsstaat die hierfür notwendige Infrastruktur zur
Verfügung stelle (Wischermann, IStR 2002, 688, 692 f.).
Der erkennende Senat hat im Urteil vom
29.11.2000 I R 102/99 (BFHE 194, 69, BStBl II 2001, 195 = SIS 01 06 10) den Begriff des Stammens in der Nr. 2 des Protokolls zum
DBA-Zypern (als Parallelregelung zu Art. 21 DBA-Singapur)
demgegenüber normspezifisch im Sinne des (formalen)
Zahlungstransfers und orientiert an dem Zahlungsort verstanden.
Einkünfte stammen danach aus Deutschland als
maßgeblichem Vertragsstaat, wenn sie in Deutschland von einem
hier ansässigen Arbeitgeber gezahlt werden (zustimmend
Mössner, Recht der Internationalen Wirtschaft 2002, 433, 437).
Er hält an dieser Rechtsprechung für Art. 21 DBA-Singapur
fest. Ein davon abweichendes wirtschaftliches
Regelungsverständnis findet im Abkommenstext keine
Stütze, verträgt sich nicht mit dem
Remittance-Base-Prinzip und zöge dem Regelungszweck
zuwiderlaufend Besteuerungslücken nach sich, die es gerade zu
vermeiden gilt.
5. Die Vorinstanz hat ihrer Entscheidung eine
andere Rechtsauffassung zugrunde gelegt. Sie ist aufzuheben. Die
Sache ist nicht spruchreif. Das FG hat zu der nach singapurischem
Recht zu beantwortenden Frage, ob i.S. des Art. 21 DBA-Singapur
„nach dem in dem anderen Vertragsstaat geltenden Recht
diese Einkünfte unter Zugrundelegung des Betrages besteuert
werden, der in den anderen Staat überwiesen oder dort bezogen
wird, nicht aber unter Zugrundelegung des Gesamtbetrags der
Einkünfte“ (s. auch das Senatsurteil vom 12.11.1986
I R 38/83, BFHE 148, 289, BStBl II 1987, 377 = SIS 87 05 60) - von
seinem Rechtsstandpunkt aus zu Recht - keine Feststellungen
getroffen. Es erhält durch die Zurückverweisung
Gelegenheit, Feststellungen (§ 155 FGO i.V.m. § 293 Satz
1 der Zivilprozessordnung) dazu, ob die in Deutschland ausgezahlten
Einnahmen aus Gründen einer Besteuerung nach dem sogenannten
Remittance-Base-Prinzip oder wegen fehlender Deklaration in
Singapur nicht besteuert wurden, nachzuholen.