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I. Der Kläger, Revisionskläger
und Revisionsbeklagte (Kläger) hat am 31.10.2008 bei dem
Zollamt (ZA) des Beklagten, Revisionsbeklagten und
Revisionsklägers (Hauptzollamt - HZA - ) eine Ausfuhranmeldung
über 32 Münzen und Medaillen abgegeben, die - wie in der
Anlage zur Ausfuhranmeldung erläutert wurde - 1.500 bis 2.400
Jahre alt und zwischen 50 EUR und 400 EUR wert sein sollen. Das ZA
hat die Annahme dieser Anmeldung abgelehnt, weil es sich um
Kulturgüter i.S. des Art. 1, Anh. A Nr. 1 der Verordnung (EWG)
Nr. 3911/92 des Rates vom 9.12.1992 über die Ausfuhr von
Kulturgütern (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Nr. L 395/1; im Folgenden: VO Nr. 3911/92) handele, für die
eine Ausfuhrgenehmigung vorgelegt werden müsse.
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Auf die gegen diesen Bescheid erhobene
Klage hat das Finanzgericht (FG) unter Abweisung derselben im
Übrigen das HZA mit in ZfZ 2012, Beilage 2, 19
veröffentlichtem Urteil verpflichtet, den Kläger erneut
zu bescheiden. Es ist der Auffassung, bei den Ausfuhrwaren handele
es sich zwar um Kulturgüter im Sinne der VO Nr. 3911/92 bzw.
der insofern seit dem 2.3.2009 anzuwendenden Verordnung (EG) Nr.
116/2009 des Rates vom 18.12.2008 über die Ausfuhr von
Kulturgütern (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L
39/1; im Folgenden: VO Nr. 116/2009), so dass der Kläger die
Annahme der Ausfuhranmeldung ohne Vorlage einer Ausfuhrgenehmigung
nicht verlangen könne. Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 2 VO Nr.
116/2009 räume den Mitgliedstaaten jedoch Ermessen ein,
Ausnahmen von der generellen Ausfuhrgenehmigungspflicht zu machen.
Dieses Ermessen habe das HZA bisher nicht ausgeübt.
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Gegen dieses Urteil richten sich die
Revisionen des Klägers sowie des HZA, welche die Verletzung
materiellen Rechts rügen.
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Der Kläger meint - zusammengefasst -,
die VO Nr. 116/2009 bestimme nur den Rahmen, innerhalb dessen die
Mitgliedstaaten Kulturgüter bestimmen könnten. Dazu
würden in Deutschland nach § 1 des Gesetzes zum Schutz
deutschen Kulturgutes gegen Abwanderung (KultgSchG) Verzeichnisse
national wertvollen Kulturgutes aufgestellt und
veröffentlicht. Darüber hinaus würden durch jenes
Gesetz nur Kulturgüter geschützt, die
unrechtmäßig auf deutsches Zollgebiet gelangt seien.
Zusammen mit dem Kulturgüterrückgabegesetz (BGBl I 2007,
757, 2547) sei insofern ein geschlossenes Überwachungs- und
Rückholsystem geschaffen worden.
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Einzelne Münzen stünden nicht
unter dem Schutz der VO Nr. 116/2009, wie deren Anh. I.A Nr. 13
Buchst. b zeige, in der nur Sammlungen von Münzen als
Schutzobjekt genannt seien. Auch seien antike Münzen im
Allgemeinen keine archäologischen Gegenstände, sondern in
großer Zahl im Handel präsentes Massengut und in
zahlreichen Katalogen mit Preisangaben aufgeführt; sie seien
erst recht kein nationales Kulturgut, das - und nicht etwa das
Interesse an archäologischer Betätigung und Forschung -
zu schützen die Union allein eine Kompetenz in Anspruch nehmen
könne. Die vom HZA und vom FG für richtig gehaltene
Auslegung der VO Nr. 116/2009 brächte im Übrigen den
Münzhandel mit drittländischen Kunden in einer mit der
Warenverkehrsfreiheit nicht vereinbaren Weise zum Erliegen. Die
Behörden wären völlig überfordert, wenn sie
für jede Münze die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung
bzw. die vom FG geforderte Ermessensentscheidung treffen
müssten.
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Im Übrigen ist der Kläger der
Auffassung, Art. 2 Unterabs. 2 VO Nr. 116/2009 gelte - anders als
das HZA meint - unmittelbar und bedürfe keiner Umsetzung durch
einen nationalen Rechtsakt. Das ergebe sich aus dem Wortlaut, in
dem nicht darauf verwiesen werde, dass die Ermächtigung durch
Rechtssatz umzusetzen sei. Stünde die Umsetzung im Belieben
der Mitgliedstaaten, käme es überdies zu einer mit Art.
36 Satz 2 des Vertrags über die Arbeitsweise der
Europäischen Union nicht vereinbaren Diskriminierung der
Münzhändler. Für den Schutz von Objekten
archäologisch und wissenschaftlich beschränkten Werts
fehle es auch an einer unionsrechtlichen Kompetenz. Der
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gebiete, solche
Objekte vom Schutz auszunehmen; denn sie könnten
definitionsgemäß nicht zu den Kulturgütern eines
Mitgliedstaats gehören.
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Das HZA trägt vor, Art. 2 Abs. 2
Unterabs. 2 VO Nr. 116/2009 enthalte lediglich eine
Ermächtigungsgrundlage für die Mitgliedstaaten, eine
Ausnahmeregelung durch Rechtsvorschrift zu schaffen. Dies
müsse in Deutschland durch Gesetz erfolgen. Ein solches Gesetz
gebe es ebenso wenig wie eine diesbezügliche
Verwaltungsvorschrift oder -übung. In Deutschland bestehe
folglich derzeit keine Möglichkeit, Kulturgüter ohne
Ausfuhrgenehmigung auszuführen. Dies sei nach dem Unionsrecht
auch nicht zu beanstanden.
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II. Die Revision des Klägers ist
begründet und führt zur dem Klageantrag entsprechenden
Verpflichtung des HZA (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Soweit das Urteil des FG das HZA
zu einer Ermessensentscheidung verpflichtet hat und sich das HZA
dagegen mit seiner Revision wendet, führt vorgenannter,
über die Verpflichtung zu erneuter Ermessensentscheidung
hinausgehender und diese verdrängender Ausspruch zur
Erledigung des betreffenden Klagebegehrens und der Revision des
HZA.
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Das Urteil des FG verletzt Bundesrecht (§
118 Abs. 1 FGO).
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Nach Art. 2 Abs. 1 der hier bereits
anzuwendenden VO Nr. 116/2009, die in den maßgeblichen
Bestimmungen mit den Vorschriften der VO Nr. 3911/92
übereinstimmt, dürfen Kulturgüter aus dem Zollgebiet
der Gemeinschaft (jetzt: Union) nur ausgeführt werden, wenn
eine Ausfuhrgenehmigung vorliegt. Als Kulturgüter gelten nach
Art. 1 der Verordnung die in ihrem Anhang I aufgeführten
Güter, mithin u.a. mehr als 100 Jahre alte archäologische
Gegenstände aus Grabungen und archäologischen Funden zu
Lande oder unter Wasser, archäologischen Stätten und
archäologischen Sammlungen. Wird von dem Zollbeteiligten eine
solche Ausfuhrgenehmigung für die von ihm gestellten Objekte
nicht vorgelegt, obwohl es sich um Kulturgüter im Sinne der VO
Nr. 116/2009 handelt, kann er nicht nach Art. 63, 62 Abs. 2 des
Zollkodex verlangen, dass das HZA seine Zollanmeldung annimmt.
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Die Auffassung des FG, dass Art. 2 Abs. 1 VO
Nr. 116/2009 im Streitfall greife, verletzt jedoch Bundesrecht.
Denn das FG ist von einem unzutreffenden Begriff des
„archäologischen Gegenstandes“ bzw.
„archäologischen Fundes“ ausgegangen.
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1. Allerdings vermag der erkennende Senat
nicht die - von dem Kläger in der mündlichen Verhandlung
auch nicht mehr vorgetragene - Auffassung zu teilen, einer
Ausfuhrgenehmigung bedürfe es nur für Gegenstände,
die gemäß § 1 KultgSchG in das Verzeichnis national
wertvollen Kulturgutes aufgenommen sind, nur solche
Gegenstände seien also Kulturgut im Sinne der vorgenannten
Unionsverordnung und nur für solche Gegenstände
könne die Union überhaupt die Kompetenz in Anspruch
nehmen, bei ihrer Ausfuhr eine besondere Genehmigung zu verlangen.
Eine solche enge Auslegung des Anwendungsbereichs der Verordnung
wäre mit deren Zweck nicht zu vereinbaren,
Verfahrensregularien für einen in der Union einheitlichen
Schutz vor einer Ausfuhr von den Mitgliedstaaten als
schützenswert angesehener Gegenstände aufzustellen. Dabei
liegt es auf der Hand, dass die Zollstelle in der Regel nicht
beurteilen kann, ob ein ihr zur Abfertigung gestellter Gegenstand
von einem der Mitgliedstaaten als Kulturgut unter Schutz gestellt
worden ist. Dies zu prüfen muss deshalb, wie es die Verordnung
vorschreibt, einer dafür von dem betreffenden Mitgliedstaat zu
bestimmenden fachkundigen Behörde im Zusammenwirken mit den
entsprechenden Behörden der anderen Mitgliedstaaten (vgl. Art.
6 VO Nr. 116/2009) überlassen bleiben und das Ergebnis der
Prüfung in deren Ausfuhrgenehmigung zum Ausdruck gebracht
werden. Dass ein Gegenstand von einem Mitgliedstaat nach seinen
Rechtsvorschriften unter Schutz gestellt worden ist, ist also nicht
Voraussetzung für das Erfordernis der Vorlage einer
Ausfuhrgenehmigung bei der Ausfuhr aus dem Zollgebiet der Union,
sondern nach Art. 2 Abs. 2 Unterabs. 3 VO Nr. 116/2009
Maßstab für die Erteilung der Ausfuhrgenehmigung.
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Ob Gegenstände im Sinne vorgenannter
Vorschriften „archäologische
Gegenstände“ sind, lässt sich indes, anders als
das FG offenbar meint, nicht allein anhand ihres Alters und ihrer
(vom FG auch nur als wahrscheinlich angesehenen bzw. aufgrund eines
zweifelhaften Beweises des ersten Anscheins unterstellten) Herkunft
aus Funden oder Grabungen beurteilen. Ein archäologischer
Gegenstand ist vielmehr nur ein solcher, der einen Wert für
die Archäologie hat, also ein von Menschenhand geschaffener
oder bearbeiteter Gegenstand, der Erkenntnisse über vergangene
Kulturen zu vermitteln vermag, insbesondere etwa über deren
Gebräuche, den damaligen technischen und künstlerischen
Entwicklungsstand, politische und gesellschaftliche Strukturen, die
Religion und dergleichen mehr. Gegenstände, die anderweit
gewonnene Erkenntnisse über vergangene Kulturen allenfalls
illustrieren und deshalb für die Archäologie keine
Bedeutung haben, sind keine „archäologischen
Gegenstände“ oder Funde i.S. des Anh. I VO Nr.
116/2009. Dem entsprechen die Erläuterungen zum Harmonisierten
System betreffend die Position 9705, auf welche der vorgenannte
Anhang Bezug nimmt, und die ebenfalls auf das
„archäologische Interesse“ abstellen,
welches sie u.a. zum Studium früherer Generationen geeigneten
Gegenständen beimessen, bei deren beispielhafter
Aufzählung sie übrigens Münzen und Medaillen nicht
erwähnen. Dem entspricht es ferner, dass Gegenstände, die
für die Archäologie keinen (Erkenntnis-)Wert haben, nicht
von einem Mitgliedstaat aufgrund eines archäologischen
Interesses unter Schutz gestellt werden können. Die VO Nr.
116/2009 soll jedoch, wie ausgeführt, nur der Durchsetzung
solcher Schutzmaßnahmen eines Mitgliedstaats dienen,
nämlich sicherstellen, dass diese an den Außengrenzen
der Union beachtet und eine mit ihnen nicht vereinbare Ausfuhr als
nationale Kulturgüter schutzbedürftiger Gegenstände
verhindert wird.
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Allerdings kann entgegen der Ansicht des
Klägers weder aus der ausdrücklichen Benennung der
„Sammlungen von ... numismatischem Wert“ in Anh.
I.A Nr. 13 Buchst. b VO Nr. 116/2009 der Umkehrschluss gezogen
werden, einzelne Münzen stünden nicht unter dem Schutz
der Verordnung, noch vermag der Senat von vornherein
auszuschließen, dass einzelnen Münzen oder Medaillen
unter Umständen ein archäologischer Wert zukommen mag,
der sie als einen „archäologischen
Gegenstand“ im Sinne der VO Nr. 116/2009 erscheinen
lässt.
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Mit Recht macht der Kläger indes
sinngemäß geltend, dass Münzen, die aus der sog.
Antike stammen, in der Regel keinen solchen archäologischen
Wert haben und deshalb keine archäologischen Gegenstände
sind, insbesondere wenn es sie in großer Anzahl gibt und sie
- worauf auch das Badische Landesmuseum in seiner vom HZA in der
mündlichen Verhandlung vorgelegten Stellungnahme hingewiesen
hat - nicht (mehr) einem bestimmten Fundort zugeordnet werden
können.
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Das archäologische Interesse an einem
Gegenstand ist in diesem Zusammenhang vom HZA bzw. dem Tatrichter
nach den Umständen des Einzelfalls zu bewerten, wobei als
wichtige Beurteilungskriterien insbesondere in Betracht kommen, wie
der betreffende Gegenstand im Handel bewertet wird und ob gleiche
oder vergleichbare Gegenstände in größerem Umfang
Gegenstand eines Handels sind, an dem nicht Archäologen bzw.
archäologische Institutionen und Sammlungen, sondern Sammler
teilnehmen, die solche Münzen nicht aus einem
„archäologischen“ Interesse, sondern aus
Sammelleidenschaft, wegen des ästhetischen Werts der
betreffenden Objekte oder anderer Interessen erwerben.
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2. Das FG hat - von seinem unzutreffenden
rechtlichen Ausgangspunkt aus - keinerlei Feststellungen dazu
getroffen, dass die streitgegenständlichen Münzen und
Medaillen aus irgendwelchen besonderen Gründen eine Bedeutung
und irgendeinen Wert für die Archäologie hätten.
Auch das HZA hat dazu nichts beigetragen. Die ihm vom Landesmuseum
Württemberg unter dem 28.4.2009 erteilte Auskunft wäre
keine geeignete Grundlage für eine entsprechende Feststellung,
zumal sie widersprüchlich ist, wenn einerseits
sinngemäß die Erteilung einer Ausfuhrgenehmigung
für erforderlich erklärt wird, andererseits das
Landesmuseum offenlässt, ob es sich überhaupt um
„archäologisches Gut“ handelt.
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Hingegen hat der Kläger unwidersprochen
vorgetragen, es handele sich um „Massenware“,
wie sie sich vielfach im allgemeinen Handel befinde. Davon kann der
erkennende Senat bei seiner Entscheidung ausgehen, da nichts
dafür erkennbar ist, dass das FG, dem allerdings
grundsätzlich die tatsächliche Aufklärung und
Bewertung solcher Gegebenheiten obliegt, bei einer
Zurückverweisung der Sache gemäß § 126 Abs. 3
Satz 1 Nr. 2 FGO in einem zweiten Rechtsgang zu anderen
Erkenntnissen kommen könnte.
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Da das FG die vom Kläger zur Ausfuhr
gestellten Objekte nach alledem zu Unrecht als archäologische
Gegenstände angesehen hat, ist sein Urteil aufzuheben. Die
Sache ist spruchreif. Der Kläger hat Anspruch auf Annahme
seiner Ausfuhranmeldung, ohne dass er dafür eine
Ausfuhrgenehmigung vorlegen muss.
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