Buchführungsgrenze, Verein: Die für die Buchführungspflicht maßgebliche Umsatzgrenze i.S. des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist unter Einbeziehung der nicht umsatzsteuerbaren Auslandsumsätze zu ermitteln. - Urt.; BFH 7.10.2009, II R 23/08; SIS 09 34 30
I. Kläger und Revisionskläger
(Kläger) ist ein eingetragener Verein, der mit der Ausrichtung
von Veranstaltungen Einkünfte aus Gewerbebetrieb erzielt. Den
Gewinn ermittelte er durch Einnahme-Überschussrechnung nach
§ 8 Abs. 1 Satz 1 des Körperschaftsteuergesetzes i.V.m.
§ 4 Abs. 3 des Einkommensteuergesetzes (EStG).
Im Jahr 2004 tätigte er
umsatzsteuerpflichtige Umsätze in Höhe von 2.787,57 EUR
und - aufgrund von Veranstaltungen im Ausland - nicht
umsatzsteuerbare Umsätze in Höhe von 563.611,45
EUR.
Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das
Finanzamt - FA - ) teilte dem Kläger im Rahmen der
Erläuterungen zum Körperschaftsteuerbescheid für
2004 vom 5.7.2006 mit, dass er nach § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1
der Abgabenordnung (AO) verpflichtet sei, Bücher zu
führen und aufgrund jährlicher Bestandsaufnahmen
Abschlüsse zu machen. Die Verpflichtung ergebe sich aufgrund
der Höhe der Umsätze. Das FA forderte den Kläger
auf, erstmals für das Kalenderjahr 2005 eine Bilanz auf den
31.12.2005 einzureichen.
Der Einspruch hatte nur insoweit Erfolg,
als das FA in der Einspruchsentscheidung vom 3.5.2007 die
Mitteilung dahin änderte, dass die Verpflichtung zur
Buchführung erst ab dem 1.1.2007 zu erfüllen war.
Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab.
Der Kläger habe die für die Buchführungspflicht nach
§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO (bis 31.12.2006)
maßgebliche Umsatzgrenze von 350.000 EUR im Kalenderjahr
überschritten. Dabei seien die nicht umsatzsteuerbaren
Auslandsumsätze zu berücksichtigen gewesen. Denn sie
seien ertragsteuerrechtlich anzusetzen. Sinn und Zweck der
Regelungen der §§ 140 ff. AO sei die Auferlegung von
Pflichten, um den Steuerpflichtigen in die Lage zu versetzen,
seinen steuerlichen Mitwirkungspflichten nachkommen zu können.
Das Urteil ist veröffentlicht in Steuern und Bilanzen 2009,
74.
Mit der Revision rügt der Kläger
die Verletzung von § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO und Art. 20
Abs. 3 des Grundgesetzes (GG).
Der Kläger beantragt, die
Vorentscheidung, die Einspruchsentscheidung vom 3.5.2007 und die
Mitteilung über den Beginn der Buchführungspflicht vom
5.7.2006 ersatzlos aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision als
unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision ist unbegründet und war
deshalb zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der
Finanzgerichtsordnung - FGO - ). Das FG hat zu Recht die
Buchführungspflicht des Klägers bejaht. Bei der
Prüfung der Frage, ob die für die
Buchführungspflicht maßgebliche Umsatzgrenze
überschritten wurde, waren die nicht umsatzsteuerbaren
Auslandsumsätze einzubeziehen.
1. Ein gewerblicher Unternehmer, der nach den
Feststellungen der Finanzbehörde für den einzelnen
Betrieb Umsätze einschließlich der steuerfreien
Umsätze, ausgenommen die Umsätze nach § 4 Nr. 8 bis
10 des Umsatzsteuergesetzes (UStG), von mehr als 350.000 EUR im
Kalenderjahr gehabt hat, ist auch dann verpflichtet, für
diesen Betrieb Bücher zu führen und auf Grund
jährlicher Bestandsaufnahmen Abschlüsse zu machen, wenn
sich eine Buchführungspflicht nicht aus § 140 AO ergibt
(§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i.d.F. des Art. 6 des Gesetzes
vom 31.7.2003, BGBl I 2003, 1550, BStBl I 2003, 400, vgl. Art. 97
§ 19 Abs. 1 des Einführungsgesetzes zur Abgabenordnung -
EGAO - ). Die Verpflichtung ist vom Beginn des Wirtschaftsjahres an
zu erfüllen, das auf die Bekanntgabe der Mitteilung folgt,
durch die die Finanzbehörde auf den Beginn dieser
Verpflichtung hingewiesen hat (§ 141 Abs. 2 Satz 1 AO).
Die Umsatzgrenze des § 141 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO wurde für Kalenderjahre, die nach dem 31.12.2006
beginnen (vgl. Art. 97 § 19 Abs. 6 Satz 1 EGAO), auf 500.000
EUR erhöht. Nach der Übergangsregelung in Art. 97 §
19 Abs. 6 Satz 2 EGAO ergeht eine Mitteilung über den Beginn
der Buchführungspflicht nicht, wenn die Voraussetzungen des
§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO a.F. für Kalenderjahre, die
vor dem 1.1.2007 liegen, erfüllt sind, jedoch im Kalenderjahr
2006 nicht die des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO n.F. Dies soll
sicherstellen, dass diejenigen Steuerpflichtigen keine Mitteilung
über den Beginn der Buchführungspflicht erhalten,
für die ab dem Zeitpunkt der Verkündung der Neuregelung
nach bisherigem Recht eine Buchführungspflicht besteht, jedoch
nicht mehr nach der Neuregelung (vgl. Gesetzentwurf vom 9.5.2006,
Einzelbegründung zu Art. 7, BTDrucks 16/1407, S. 11). Die
Übergangsregelung betrifft daher nur Steuerpflichtige mit
maßgeblichen Umsätzen von mehr als 350.000 EUR, aber
nicht mehr als 500.000 EUR.
Der Kläger fällt nicht unter diese
Übergangsregelung. Denn er hat im Kalenderjahr 2004 - unter
Einbeziehung der Umsätze aus den im Ausland
durchgeführten Veranstaltungen - Umsätze von mehr als
500.000 EUR getätigt.
2. Bei der Ermittlung der für die
Buchführungspflicht maßgeblichen Umsätze i.S. von
§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO sind auch die nicht
umsatzsteuerbaren Auslandsumsätze zu berücksichtigen.
a) Der in der Vorschrift verwendete Begriff
„Umsätze“ schließt, wie sich aus der
Bezugnahme auf § 4 Nr. 8 bis 10 UStG zu den nicht
einzubeziehenden steuerfreien Umsätzen ergibt, an die
Regelungen des UStG an (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs - BFH -
vom 4.5.1999 VIII B 111/98, BFH/NV 1999, 1444 = SIS 99 52 41). Im
UStG ist der Begriff des „Umsatzes“ nicht
allgemein definiert. § 1 Abs. 1 UStG bestimmt lediglich die im
Einzelnen aufgezählten steuerbaren Umsätze als Gegenstand
der Besteuerung. Sind bei einem Umsatz einzelne Tatbestandsmerkmale
des § 1 Abs. 1 UStG nicht erfüllt, so handelt es sich um
einen nicht steuerbaren Umsatz, also um einen Umsatz, der nicht der
Umsatzsteuer unterliegt. Daneben enthält § 1 Abs. 1a UStG
mit der Regelung zu Umsätzen im Rahmen einer
Geschäftsveräußerung einen Tatbestand nicht
steuerbarer Umsätze (vgl. Schlosser-Zeuner in Bunjes/Geist,
UStG, 9. Aufl., § 1 Rz 91). Für den Anwendungsbereich des
§ 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ist deshalb im Wege der Auslegung
zu bestimmen, welche Umsätze für die Ermittlung der
Umsatzgrenze maßgebend sind. Da § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr.
1 AO insoweit weder auf § 1 Abs. 1 UStG verweist noch eine
ausdrückliche Einschränkung auf steuerbare oder
steuerpflichtige Umsätze enthält, lässt der Wortlaut
des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Auslegung zu, dass
Umsätze im Sinne dieser Vorschrift auch nicht steuerbare
Auslandsumsätze sind, d.h. Umsätze mit einem Liefer- oder
Leistungsort im Ausland.
b) Dieser Auslegung steht nicht entgegen, dass
die steuerfreien Umsätze mit Ausnahme der Umsätze nach
§ 4 Nr. 8 bis 10 UStG gesondert in § 141 Abs. 1 Satz 1
Nr. 1 AO genannt wurden. Denn dies beruht offensichtlich auf der
Übernahme des Wortlauts zur Vorgängervorschrift des
§ 161 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a der Reichsabgabenordnung. Danach
waren Unternehmer und Unternehmen, die nach den bei der letzten
Veranlagung getroffenen Feststellungen einen Gesamtumsatz
(einschließlich des steuerfreien Umsatzes) von mehr als
250.000 DM gehabt haben, verpflichtet, Bücher zu führen.
An diese Formulierung wurde in dem Ende 1969 erschienenen Bericht
des Arbeitskreises für die Reform der Reichsabgabenordnung und
ihrer Nebengesetze angeknüpft, obwohl noch keine
Einschränkung bei den steuerfreien Umsätzen vorgesehen
war (vgl. Schriftenreihe des Bundesministeriums der Finanzen,
Reform der Reichsabgabenordnung, Heft 13, S. 91, 92). Im
Gesetzentwurf vom 19.3.1971 wurde die Formulierung
„Umsätze einschließlich der steuerfreien
Umsätze“ beibehalten; gleichzeitig wurden jedoch
erstmals bestimmte steuerfreie Umsätze ausgenommen (BTDrucks
VI/1982, S. 31).
c) Für die Einbeziehung der nicht
umsatzsteuerbaren Auslandsumsätze spricht auch der
Gesetzeszweck des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO. Sinn und Zweck
der Buchführungspflicht gemäß § 141 Abs. 1 AO
ist die richtige Gewinnermittlung für die
Einkommensbesteuerung (vgl. BFH-Urteil vom 13.10.1988 IV R 136/85,
BFHE 154, 442, BStBl II 1989, 7 = SIS 89 03 08, zur
Buchführungspflicht für Land- und Forstwirte). Der Gewinn
eines gewerblichen Unternehmers ist, wenn für den einzelnen
Betrieb bestimmte Umsatzgrenzen überschritten werden, durch
Betriebsvermögensvergleich nach § 4 Abs. 1 EStG zu
ermitteln (vgl. § 141 Abs. 1 Satz 1 AO). Hierfür bedarf
es einer Buchführung, in der alle Geschäftsvorfälle
laufend und systematisch erfasst und das Betriebsvermögen
sowie seine Entwicklung dokumentiert werden.
Im Rahmen der Gewinnermittlung eines
unbeschränkt Steuerpflichtigen sind auch solche Umsätze
als Betriebseinnahmen zu berücksichtigen, die nicht
umsatzsteuerbar sind, weil der Ort der Lieferung oder der Leistung
im Ausland liegt. Deshalb ist es gerechtfertigt, bei der
Prüfung der Frage, ob die Umsatzgrenzen des § 141 Abs. 1
Satz 1 Nr. 1 AO überschritten wurden, von den gesamten
Umsätzen auszugehen, die sich ertragsteuerrechtlich auswirken.
Dazu gehören auch nicht der Umsatzsteuer unterliegende
Auslandsumsätze (vgl. Märtens in Beermann/Gosch, AO
§ 141 Rz 21; Klein/Brockmeyer, AO, 9. Aufl., § 141 Rz 4;
Cöster in Pahlke/Koenig, Abgabenordnung, 2. Aufl., § 141
Rz 14; Leingärtner/Kanzler, Besteuerung der Landwirte, Kap. 21
Rz 67; Drüen in Tipke/Kruse, Abgabenordnung,
Finanzgerichtsordnung, § 141 AO Rz 14; Kuhfus in Kühn/v.
Wedelstädt, 18. Aufl., AO, § 141 Rz 5; Ritzrow,
Steuerlexikon, §§ 140 bis 148 AO; Bichel, Steuerliche
Betriebsprüfung 1980, 138; a.A. Trzaskalik in
Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 141 AO Rz 15).
Dem steht nicht entgegen, dass das
Überschreiten bestimmter Gewinngrenzen gemäß §
141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AO ebenfalls eine Buchführungspflicht
zur Folge hat und in diesem Zusammenhang eine
ertragsteuerrechtliche Bezugsgröße maßgebend ist.
Der Gesetzgeber hat die Buchführungspflicht alternativ an die
Verwirklichung verschiedener Tatbestände geknüpft, wobei
in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auf die Höhe der
Umsätze und in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 AO auf die
Höhe des Gewinns aus Gewerbebetrieb abgestellt wird.
Eine Beschränkung der Umsätze i.S.
des § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO auf umsatzsteuerbare
Umsätze ist auch nicht aus umsatzsteuerrechtlichen
Gründen geboten. Denn für Zwecke der Umsatzsteuer sind
bereits umfassende Aufzeichnungspflichten normiert (vgl. § 22
UStG, §§ 63 ff. der
Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung).
d) Damit weicht der erkennende Senat nicht von
der Entscheidung des BFH in BFH/NV 1999, 1444 = SIS 99 52 41 ab.
Denn aus dieser Entscheidung ergibt sich, dass der VIII. Senat des
BFH den in § 141 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO verwendeten Begriff
„Umsätze“ im Sinne des
umsatzsteuerrechtlichen Sprachgebrauchs ausgelegt hat. Zu diesen
Umsätzen zählen auch nicht umsatzsteuerbare
Auslandsumsätze.
3. Aus den vorgenannten Gründen verletzt
die Verwaltungsregelung im Anwendungserlass zur AO zu § 141 Rz
3, nach der in den maßgebenden Umsatz (§ 141 Abs. 1 Satz
1 Nr. 1 AO) auch die nicht steuerbaren Auslandsumsätze
einzubeziehen sind, nicht Art. 20 Abs. 3 GG.