Pensionierter Richter, keine Vertretungsbefugnis vor BFH: Sowohl nach der bisherigen als auch nach der ab dem 1.7.2008 geltenden Rechtslage sind pensionierte Richter, die keine Steuerberater, Steuerbevollmächtigte, Rechtsanwälte, Wirtschaftsprüfer oder vereidigte Buchprüfer sind, vor dem BFH nicht vertretungsberechtigt. - Urt.; BFH 24.11.2008, VII B 149/08; SIS 08 44 57
I. Der Kläger und
Beschwerdeführer (Kläger) hat gegen einen Beschluss des
Finanzgerichts (FG), mit dem das FG einen Antrag auf Akteneinsicht
abgelehnt hat, Beschwerde eingelegt und zugleich sämtliche
Berufsrichter, die an der Entscheidung mitgewirkt haben, wegen der
Besorgnis der Befangenheit abgelehnt. Auf zwei an den
Prozessbevollmächtigten des Klägers gerichtete Anfragen
der Geschäftsstelle des VII. Senats, ob der
Prozessbevollmächtigte zu dem in § 62a der
Finanzgerichtsordnung (FGO) in der bis zum 30.6.2008 geltenden
Fassung (FGO a.F.) bzw. § 62 Abs. 4 FGO genannten
Personenkreis gehöre, hat dieser mitgeteilt, dass er Richter
im Ruhestand sei und dass Richter im Ruhestand nach dem Beschluss
des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom 29.7.2004 1 BvR 737/00
(NJW 2004, 2662 = SIS 04 35 38) den Rechtsanwälten
gleichgestellt worden seien.
II. Das Rechtsmittel ist unzulässig.
Vor dem Bundesfinanzhof (BFH) muss sich - wie
auch aus der Rechtsmittelbelehrung in dem vorbezeichneten Beschluss
hervorgeht - jeder Beteiligte, sofern es sich nicht um eine
juristische Person des öffentlichen Rechts oder um eine
Behörde handelt, durch einen Steuerberater,
Steuerbevollmächtigten, Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer
oder vereidigten Buchprüfer (vgl. § 3 Nr. 1 des
Steuerberatungsgesetzes - StBerG - ) als Bevollmächtigten
vertreten lassen; zur Vertretung berechtigt sind auch
Gesellschaften i.S. des § 3 Nr. 2 und 3 StBerG, die durch
solche Personen handeln, § 62a FGO a.F. (inhaltsgleich §
62 Abs. 4 FGO). Im Streitfall ist die Beschwerde nicht von einer
solchen Person oder Gesellschaft eingelegt worden; die Beschwerde
ist daher als unzulässig zu verwerfen.
a) Entgegen der Auffassung des
Prozessbevollmächtigten des Klägers kann der Entscheidung
des BVerfG in NJW 2004, 2662 = SIS 04 35 38 nicht entnommen werden,
dass das BVerfG in Bezug auf die geltenden Verfahrensordnungen, wie
z.B. die Zivilprozessordnung oder die FGO, eine pauschale
Gleichstellung von pensionierten Richtern mit Rechtsanwälten
vorgenommen hat. Vielmehr betraf die Entscheidung die
unentgeltliche Tätigkeit eines als Wahlverteidiger nach §
138 Abs. 2 der Strafprozessordnung zugelassenen Richters im
Ruhestand und die Auslegung des Begriffes der
Geschäftsmäßigkeit in Art. 1 § 1 Abs. 1 Satz 1
und Art. 1 § 8 Abs. 1 Nr. 1 des am 30.6.2007 außer Kraft
getretenen Rechtsberatungsgesetzes (RBerG). Beanstandet hat das
BVerfG die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen, mit denen
der gegen den Richter erlassene Bußgeldbescheid als
rechtmäßig bestätigt worden ist, aufgrund einer
unzureichenden Abwägung zwischen den Schutzzwecken des RBerG
einerseits und dem Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit
(Art. 2 Abs. 1 des Grundgesetzes - GG - ) sowie dem Grundsatz der
Verhältnismäßigkeit andererseits.
Im Streitfall geht es jedoch nicht um die
Ahndung einer unentgeltlichen Beratungstätigkeit nach dem
inzwischen außer Kraft getretenen RBerG, sondern um die
Zulassung als Bevollmächtigter nach § 62a FGO a.F.
(nunmehr § 62 Abs. 4 i.V.m. Abs. 2 Satz 1 FGO). Danach sind
ehemalige Richter vor dem BFH nicht vertretungsbefugt. Das wird
besonders deutlich in der Gegenüberstellung der ab dem
1.7.2008 anzuwendenden Regelung des § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO mit
dem nachfolgenden § 62 Abs. 2 Satz 2 Nr. 2 FGO, der die
(erweiterte) Vertretungsbefugnis vor dem FG regelt.
b) Der Prozessbevollmächtigte des
Klägers wird durch § 62a FGO a.F. bzw. § 62 Abs. 4
FGO nicht unzulässigerweise in seiner allgemeinen
Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG eingeschränkt. Diese
wird nämlich nur in den Schranken der
verfassungsmäßigen Ordnung - zu der auch § 62a FGO
a.F. und § 62 Abs. 4 FGO gehören - gewährleistet.
Unter Berücksichtigung der schutzwürdigen Interessen der
Rechtssuchenden und im Interesse der Rechtspflege erweist sich die
vom Gesetzgeber getroffene Regelung als geeignet und, wie der
Streitfall gerade zeigt, auch als erforderlich, um den mit ihr
verfolgten Zweck zu erreichen.
Der vor dem BFH bestehende Vertretungszwang
dient zum einen dem Schutz des Gerichts vor einer Belastung mit
Rechtsbehelfen, deren Erfolgsaussichten die Beteiligten nach ihrer
Vorbildung nicht richtig einzuschätzen in der Lage sind und
folglich auch nicht richtig und fachkundig zu führen wissen,
zum anderen aber auch dem Schutz der Rechtssuchenden, die sich
durch einen Angehörigen der in § 3 Nr. 1 StBerG bzw.
§ 62 Abs. 2 Satz 1 FGO genannten Berufsgruppen vertreten
lassen müssen. Insbesondere zum Schutz der Rechtssuchenden hat
der Gesetzgeber die in diesen Vorschriften genannten Personen
standesrechtlichen Regelungen unterworfen. Gemäß §
51 der Bundesrechtsanwaltsordnung (BRAO), § 67 StBerG und
§ 54 Abs. 1 des Gesetzes über eine Berufsordnung der
Wirtschaftsprüfer - Wirtschaftsprüferordnung (WiPrO)
müssen sich die zur Vertretung Befugten, z.B. zur Deckung der
sich aus ihrer Berufstätigkeit ergebenden Haftpflichtgefahren,
für Vermögensschäden angemessen versichern. Im Falle
des Vermögensverfalls droht ihnen der Widerruf der Bestellung
(§ 14 Abs. 2 Nr. 7 BRAO, § 46 Abs. 2 Nr. 4 StBerG, §
20 Abs. 2 Nr. 5 WiPrO). Darüber hinaus ist mit der
Tätigkeit als Rechtsanwalt, Wirtschaftsprüfer oder
Steuerberater regelmäßig eine Zugehörigkeit zu den
entsprechenden Berufskammern und die Verpflichtung zur Leistung von
Kammerbeiträgen verbunden.
c) Wie die Beschränkung der
Vertretungsbefugnis auf bestimmte Berufsgruppen belegt, reichen
nach dem Willen des Gesetzgebers eine nachgewiesene juristische
Ausbildung oder besondere Fachkunde auf dem Gebiet des Steuerrechts
für sich allein nicht aus, um die Voraussetzungen des §
62a FGO a.F. bzw. § 62 Abs. 4 FGO zu erfüllen.
Entscheidend ist die Bestellung als Angehöriger der in diesen
Vorschriften bezeichneten Berufsgruppen. Nach der Rechtsprechung
des BFH entfällt die Vertretungsbefugnis - selbst in eigener
Sache -, wenn eine Bestellung wirksam widerrufen (Senatsbeschluss
vom 28.9.1999 VII B 97-103/99, BFH/NV 2000, 338 = SIS 00 52 57)
oder wenn auf die Bestellung freiwillig verzichtet worden ist
(Senatsbeschluss vom 14.11.1988 IV B 160/88, BFH/NV 1989, 381).
Die auch dem Schutz der Rechtssuchenden
dienenden Regelungen würden unterlaufen, wenn der Kreis der
zur Vertretung vor dem BFH befugten Personen entgegen dem
eindeutigen Wortlaut des Gesetzes auf im Ruhestand befindliche
Richter ausgedehnt würde. Zudem würde dieser Berufsgruppe
gegenüber Angehörigen der in § 62 Abs. 2 Satz 1 FGO
ausdrücklich genannten Berufsgruppen infolge der
Kostenersparnis (Haftpflichtversicherung, Kammerbeiträge usw.)
ein Wettbewerbsvorteil verschafft, der unter
Gleichbehandlungsgrundsätzen (Art. 3 Abs. 1 GG) zu beanstanden
wäre. Denn ein Grund, der eine solche Differenzierung auch
ihrem Ausmaß nach rechtfertigen könnte, ist für den
Senat nicht ersichtlich.
d) Die schutzwürdigen Belange
pensionierter Richter werden durch die Beschränkungen des
§ 62a FGO a.F. bzw. § 62 Abs. 4 FGO nicht in
unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigt.
Sofern Richter im Ruhestand eine rechtsberatende Tätigkeit
aufnehmen wollen, die ihnen auch eine Prozessvertretung vor dem BFH
ermöglicht, steht es ihnen frei, sich z.B. als Steuerberater
oder Rechtsanwalt bestellen zu lassen. Für Finanzrichter
bestehen darüber hinaus insoweit Erleichterungen, als
ehemalige Finanzrichter, die mindestens zehn Jahre auf dem Gebiet
der von den Bundes- oder Landesfinanzbehörden verwalteten
Steuern tätig gewesen sind, nach § 38 Abs. 1 Nr. 2 StBerG
prüfungsfrei als Steuerberater bestellt werden können.
Unter diesen Gesichtspunkten erweist sich die vom Kläger
beanstandete Regelung nicht als
unverhältnismäßig.