Berliner Testament, Schlusserbe, ErbSt: Haben sich Ehegatten durch gemeinschaftliches Testament oder Erbvertrag gegenseitig als Erben und Verwandte als Schlusserben eingesetzt, ist das beim Tod des länger lebenden Ehegatten dem Werte nach noch vorhandene Vermögen des zuerst verstorbenen Ehegatten im Rahmen der Bindungswirkung der getroffenen Verfügungen erbschaftsteuerrechtlich nach § 15 Abs. 3 ErbStG vorrangig und ohne weitere Quotelung den mit dem Erstverstorbenen näher verwandten Schlusserben zuzuordnen. - Urt.; BFH 27.8.2008, II R 23/06; SIS 08 42 91
I. Der im Jahr 1986 verstorbene Onkel (O)
der Klägerin und Revisionsbeklagten (Klägerin) und ihres
Bruders (B) und die im Jahr 2004 verstorbene Ehefrau (E) des O
hatten sich durch notariell beurkundeten Erbvertrag gegenseitig als
Alleinerben eingesetzt und weiter verfügt, dass der zuletzt
versterbende Ehegatte als Erben je zur Hälfte einerseits
Verwandte der E und andererseits den Bruder des O und als dessen
Ersatzerben zu gleichen Teilen dessen Kinder, die Klägerin und
B, berufe. E machte nach dem Tod des O von der ihr bezüglich
ihrer eigenen Verwandten zustehenden Änderungsbefugnis keinen
Gebrauch. Beim Tod der E war der Bruder des O bereits verstorben. B
verstarb während des Revisionsverfahrens. Das seine
unbekannten Erben betreffende Revisionsverfahren wurde
abgetrennt.
Der Beklagte und Revisionskläger (das
Finanzamt - FA - ) ging bei der Festsetzung der Erbschaftsteuer
gegen die Klägerin und B von deren Angabe aus, der Nachlass
der E stamme je zur Hälfte seines Werts von O und E, und nahm
an, diese Herkunft des Nachlasses führe nach § 15 Abs. 3
i.V.m. § 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 des Erbschaftsteuer- und
Schenkungsteuergesetzes (ErbStG) zu folgender Berechnung der
jeweils festzusetzenden Erbschaftsteuer:
Gesamtwert der
Nachlassgegenstände
|
291.995 EUR
|
ein Viertel hiervon
|
72.998 EUR
|
von O stammen
|
36.499 EUR
|
abzüglich persönlicher
Freibetrag
|
./.
10.300 EUR
|
verbleiben abgerundet
|
26.100 EUR
|
Steuersatz
|
12
v.H.
|
Steuer
|
3.132 EUR
|
|
|
von E stammen
|
36.499 EUR
|
abzüglich 1/4 der
Nachlassverbindlichkeiten
|
./.
11.124 EUR
|
verbleiben abgerundet
|
25.300 EUR
|
Steuersatz
|
17
v.H.
|
Steuer
|
4.301 EUR
|
festzusetzende Steuer 3.132 EUR + 4.301 EUR
=
|
7.433 EUR
|
Dem Begehren der Klägerin und des B,
ihre Anteile am Nachlasswert insgesamt als von O stammend zu
besteuern, folgte das FA auch in der Einspruchsentscheidung
nicht.
Das Finanzgericht (FG) gab der Klage durch
das in EFG 2006, 830 = SIS 06 27 89 veröffentlichte Urteil mit
der Begründung statt, der Besteuerung sei nach Wortlaut, Sinn
und Zweck und Entstehungsgeschichte des § 15 Abs. 3 Satz 1
ErbStG allein das Verhältnis der Klägerin und des B zu O
zugrunde zu legen, weil der Nachlass der E zur Hälfte seines
Werts von O gestammt und dieser hälftige Anteil rechnerisch
für die Erbanteile der Klägerin und des B ausgereicht
habe.
Das FG errechnete die nach seiner Ansicht
jeweils festzusetzende Erbschaftsteuer von 6.180 EUR
demgemäß in der Weise, dass es von dem nach Abzug der
anteiligen Nachlassverbindlichkeiten verbleibenden Erbanteil von je
61.872 EUR einen persönlichen Freibetrag von 10.300 EUR abzog
und auf den abgerundeten steuerpflichtigen Erwerb von 51.500 EUR
einen Steuersatz von 12 v.H. anwandte.
Mit der Revision rügt das FA
Verletzung des § 15 Abs. 3 ErbStG. Die von ihm vorgenommene
Steuerberechnung entspreche dem Gesetzeswortlaut und dem Willen des
Gesetzgebers. In den Fällen des § 2269 des
Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) beruhe die Stellung des
Schlusserben auf den Verfügungen beider Ehegatten über
den als Einheit zu sehenden Nachlass. Stamme wie im Streitfall der
Nachlasswert jeweils zur Hälfte von den beiden Ehegatten,
müssten der Besteuerung des Erwerbs der mit dem zuerst
verstorbenen Ehegatten näher verwandten Schlusserben für
die eine Hälfte der bei ihnen angefallenen Anteile am Nachlass
die im Verhältnis zum zuerst verstorbenen Ehegatten
maßgebende Steuerklasse und für die andere Hälfte
die im Verhältnis zum zuletzt verstorbenen Ehegatten geltende
Steuerklasse zugrunde gelegt werden. Die vom FG vorgenommene
personenbezogene Aufteilung des Nachlasses scheide deshalb
aus.
Das FA beantragt, die Vorentscheidung
aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt, die Revision
als unbegründet zurückzuweisen.
II. Die Revision des FA ist - soweit die Klage
der Klägerin betroffen ist - unbegründet und war daher
zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung -
FGO - ). Die vom FG vorgenommene Steuerberechnung ist
zutreffend.
1. Nach § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG sind im
Fall des § 2269 BGB und soweit der überlebende Ehegatte
an die Verfügung gebunden ist, die mit dem verstorbenen
Ehegatten näher verwandten Erben und Vermächtnisnehmer
als seine Erben anzusehen, soweit sein Vermögen beim Tode des
überlebenden Ehegatten noch vorhanden ist. § 6 Abs. 2
Satz 3 bis 5 ErbStG gilt in diesem Fall gemäß § 15
Abs. 3 Satz 2 ErbStG entsprechend.
a) Haben die Ehegatten in einem
gemeinschaftlichen Testament (vgl. § 2265 BGB), durch das sie
sich gegenseitig als Erben einsetzen, bestimmt, dass nach dem Tode
des Überlebenden der beiderseitige Nachlass an einen Dritten
fallen soll, so ist nach § 2269 Abs. 1 BGB im Zweifel
anzunehmen, dass der Dritte für den gesamten Nachlass als Erbe
des zuletzt versterbenden Ehegatten eingesetzt ist. Der Dritte ist
der sog. Schlusserbe. Der Schlusserbe ist von jedem Ehegatten als
sein Ersatzerbe (§ 2096 BGB) berufen für den Fall, dass
der als Erbe berufene andere Ehegatte zuerst stirbt und deshalb
nicht Erbe wird. Der überlebende Ehegatte wird beim Tod des
anderen Ehegatten Vollerbe. Dadurch vereinigt sich in seiner Hand
sein eigenes Vermögen mit dem Nachlass des Erstverstorbenen zu
einem einheitlichen Vermögen, über das er unter Lebenden
grundsätzlich frei verfügen kann. Was von dem
Vermögen bei seinem Tod noch vorhanden ist, geht auf den
Schlusserben als seinen Erben über (vgl. z.B.
Palandt/Edenhofer, Bürgerliches Gesetzbuch, 67. Aufl., §
2269 Rz 3, § 2271 Rz 10 f., m.w.N.).
b) § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG ist
über den Wortlaut hinaus auch dann anwendbar, wenn Ehegatten
in einem Erbvertrag dem § 2269 Abs. 1 BGB entsprechende
Regelungen vorsehen (Kapp/Ebeling, § 15 ErbStG Rz 81.4).
§ 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG beruht auf der Überlegung, dass
es unbillig ist, allein auf das Verwandtschaftsverhältnis zu
dem zuletzt verstorbenen Ehegatten abzustellen, soweit das dem
Schlusserben anfallende Vermögen von dem zuerst verstorbenen
Ehegatten stammt und der Erbe aufgrund seines
Verwandtschaftsverhältnisses zu diesem Ehegatten in eine
günstigere Steuerklasse fällt; denn beim
gemeinschaftlichen Testament mit Bindung des zuletzt versterbenden
Ehegatten erwirbt der Schlusserbe nach dem Tode dieses Ehegatten
die Erbschaft aufgrund des Willens beider Ehegatten (Urteil des
Bundesfinanzhofs - BFH - vom 16.6.1999 II R 57/96, BFHE 189, 537,
BStBl II 1999, 789 = SIS 99 21 22). Diese Erwägungen gelten
gleichermaßen, wenn Ehegatten in einem Erbvertrag einem
gemeinschaftlichen Testament i.S. des § 2269 Abs. 1 BGB
entsprechende Verfügungen treffen. Die für
Erbverträge geltende Vorschrift des § 2280 BGB verweist
zudem ausdrücklich auf § 2269 BGB.
Ist dem überlebenden Ehegatten im
Erbvertrag das Recht eingeräumt, (teilweise) vom Erbvertrag
abweichende Verfügungen von Todes wegen zu treffen, steht dies
der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 3 ErbStG nicht entgegen,
soweit der überlebende Ehegatte von der Änderungsbefugnis
hinsichtlich der Erbquote der Schlusserben keinen Gebrauch gemacht
hat. Auch insoweit gilt nichts anderes als für ein
gemeinschaftliches Testament i.S. des § 2269 BGB (vgl. dazu
BFH-Urteil in BFHE 189, 537, BStBl II 1999, 789 = SIS 99 21 22).
c) § 15 Abs. 3 ErbStG folgt nicht der
zivilrechtlichen Beurteilung, nach der der Schlusserbe allein Erbe
des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist und den Nachlass von diesem
als Einheit erhält, ggf. anteilig in Höhe seiner
Erbquote. Die Vorschrift nähert vielmehr die
erbschaftsteuerrechtliche Behandlung des Schlusserben derjenigen
des Nacherben an. Dies ergibt sich aus dem klaren Wortlaut des
§ 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG. Danach sind unter den in der
Vorschrift genannten Voraussetzungen die mit dem zuerst
verstorbenen Ehegatten näher verwandten Erben und
Vermächtnisnehmer als seine Erben anzusehen, soweit sein
Vermögen beim Tode des überlebenden Ehegatten noch
vorhanden ist. Eine Quotelung, wie sie das FA vorgenommen hat, ist
in § 15 Abs. 3 ErbStG nicht vorgesehen.
Der zivilrechtlich als Einheit zu beurteilende
Nachlass des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist somit für die
Erbschaftsteuer aufzuteilen, und zwar in das vom zuerst
verstorbenen Ehegatten stammende Vermögen, das beim Tod des
Letztverstorbenen noch vorhanden ist, und den übrigen
Nachlass. Der mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten näher
verwandte Schlusserbe ist im Hinblick auf das von diesem stammende
Vermögen erbschaftsteuerrechtlich so zu behandeln, als ob er
es unmittelbar als Erbe von diesem Ehegatten erworben hätte.
Der Schlusserbe steht insoweit also einem Nacherben (§ 2100
BGB) gleich, der beim Eintritt der Nacherbfolge unmittelbar Erbe
des ursprünglichen Erblassers (§ 2139 BGB) wird.
Anders als dem Nacherben, der beim Eintritt
der Nacherbfolge wählen kann, ob er den Erwerb als insgesamt
vom Vorerben stammend versteuern will oder ob hinsichtlich des der
Nacherbfolge unterliegenden Vermögens der Besteuerung sein
Verhältnis zum Erblasser zugrunde gelegt werden soll (§ 6
Abs. 2 Satz 1 und 2 ErbStG), steht allerdings den Schlusserben nach
dem Gesetzeswortlaut keine Wahlmöglichkeit zu (kritisch
Meincke, Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetz, Kommentar, 14.
Aufl., § 15 Rz 31). Die mit dem zuerst verstorbenen Ehegatten
näher verwandten Schlusserben können sich nicht
dafür entscheiden, den Erwerb als insgesamt von dem zuletzt
verstorbenen Ehegatten stammend zu versteuern. Vielmehr ist der
Besteuerung stets ihr persönliches Verhältnis zu dem
zuerst verstorbenen Ehegatten zugrunde zu legen, soweit dessen
Vermögen beim Tode des anderen Ehegatten noch vorhanden
ist.
Durch die in § 15 Abs. 3 Satz 2 ErbStG
vorgesehene Verweisung auf § 6 Abs. 2 Satz 3 bis 5 ErbStG wird
der Schlusserbe insoweit einem Nacherben gleichgestellt, der
beantragt hat, der Besteuerung sein Verhältnis zum Erblasser
und nicht dasjenige zum Vorerben zugrunde zu legen. Der Nachlass
des zuletzt verstorbenen Ehegatten ist danach im Grundsatz so
aufzuteilen, wie wenn er lediglich Vorerbe gewesen wäre. Wenn
das Gesetz - wie das FA meint - den Schlusserben insoweit
schlechter als den Nacherben hätte stellen wollen, hätte
dies im Wortlaut zum Ausdruck kommen müssen.
Die Auffassung des FA würde zudem in
Fällen der vorliegenden Art zu einer vom Zufall
abhängigen und daher nicht sachgerechten
erbschaftsteuerrechtlichen Bevorzugung der Verwandten des Ehegatten
führen, der länger lebt. Der Besteuerung dieser
Verwandten als Erben würde nämlich stets in vollem Umfang
die nach ihrem persönlichen Verhältnis zu diesem
Ehegatten maßgebende günstige Steuerklasse zugrunde
gelegt werden, während die Verwandten des zuerst verstorbenen
Ehegatten für einen Teil des Erwerbs die Anwendung einer
ungünstigeren Steuerklasse in Kauf nehmen müssten, obwohl
ihr Erwerb insgesamt nicht höher ist als das beim Tod des
Letztverstorbenen noch vorhandene Vermögen des
Erstverstorbenen.
d) Bei der Prüfung, inwieweit beim Tod
des zuletzt verstorbenen Ehegatten noch Vermögen des anderen
Ehegatten i.S. des § 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG vorhanden ist,
kommt es nicht auf die einzelnen Vermögensgegenstände,
sondern lediglich auf den Gesamtwert des Vermögens an (Moench,
Erbschaft- und Schenkungsteuer, § 15 Rz 50; Jülicher in
Troll/Gebel/Jülicher, ErbStG, § 15 Rz 152). Der Begriff
„Vermögen“ umschreibt regelmäßig
eine Gesamtheit geldwerter Gegenstände (BFH-Urteil vom
22.6.1994 II R 1/92, BFHE 174, 377, BStBl II 1994, 656 = SIS 94 20 09). Die erbschaftsteuerrechtliche Stellung des Schlusserben ist
auch insoweit derjenigen eines Nacherben angenähert (vgl.
§ 2111 BGB).
2. Das FG ist danach von zutreffenden
Rechtsgrundsätzen ausgegangen (zustimmend ebenfalls
Jülicher in Troll/Gebel/Jülicher, a.a.O.; Kapp/Ebeling,
a.a.O.).
a) Die Klägerin ist als Tochter des
Bruders des O mit O in der Seitenlinie verwandt (§ 1589 Satz 2
BGB). Zu O besteht daher eine nähere Verwandtschaft i.S. des
§ 15 Abs. 3 Satz 1 ErbStG als zu E. Dass die Klägerin mit
E nicht verwandt, sondern nur verschwägert ist (§ 1590
Abs. 1 und 2 BGB), steht der Anwendbarkeit des § 15 Abs. 3
Satz 1 ErbStG nicht entgegen. Anders als die Worte
„näher verwandt“ vermuten lassen
könnten, setzt diese Vorschrift keine Verwandtschaft zu dem
zuletzt verstorbenen Ehegatten voraus. Andernfalls würde die
Vorschrift abgesehen von dem Ausnahmefall, dass die Ehegatten
miteinander verwandt waren, leerlaufen. Dies wäre mit ihrem
Sinn und Zweck nicht vereinbar. Maßgebend ist vielmehr, ob
die Erben nach den persönlichen Verhältnissen zu den
beiden Ehegatten verschiedenen Steuerklassen unterliegen (§ 15
Abs. 1 ErbStG).
b) Die erforderliche Bindung der E an die
Erbeinsetzung des Bruders des O und von dessen Kindern als
Ersatzerben sowie die Höhe der Erbquoten ergeben sich aus dem
Erbvertrag (§ 2278 Abs. 1 BGB). E hat im Übrigen von der
ihr bezüglich ihrer eigenen Verwandten eingeräumten
Änderungsbefugnis keinen Gebrauch gemacht.
c) Bei der für die Besteuerung der
Nachlassanteile der Klägerin und des B vorzunehmenden
Aufteilung des Nachlasses der E ist das bei deren Tod noch
vorhandene Vermögen des O allein der Klägerin und dem B
zuzuordnen. Diese sind insoweit erbschaftsteuerrechtlich so zu
behandeln, als ob sie im Zeitpunkt des Todes der E unmittelbare
Erben des O geworden wären. Da der Wert des beim Tod der E
noch vorhandenen Vermögens des O nach den Angaben der
Klägerin und des B, denen das FA und das FG gefolgt sind, die
Hälfte des Wertes des gesamten Nachlasses der E ausmachte und
somit der Summe der Erbanteile dieser Erben entspricht, ist danach
für die Besteuerung ausschließlich das persönliche
Verhältnis der Klägerin und des B zu O maßgebend.
Aus erbschaftsteuerrechtlicher Sicht ist kein eigenes Vermögen
der E auf die Klägerin und B übergegangen.