Lebende Rinder, Ausfuhrerstattung, tierärztliche Kontrolle, Zeitpunkt: Die beim Transport lebender Rinder gemäß Art. 3 VO Nr. 615/98 erforderliche tierärztliche Kontrolle der ersten Entladung der Tiere im Bestimmungsland hat jedenfalls im unmittelbaren Anschluss an den Entladevorgang zu erfolgen. Eine tierärztliche Kontrolle erst zwölf Tage nach dem Entladen erfüllt diese Voraussetzung nicht. - Urt.; BFH 15.7.2008, VII R 54/05; SIS 08 37 75
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) führte im Juni 1999 unter Inanspruchnahme als
Vorschuss gewährter Ausfuhrerstattungen 253 Zuchtrinder nach
Libyen aus, die zunächst per LKW nach Koper/Slowenien und von
dort per Schiff weiterbefördert wurden. Im
Erstattungsverfahren legte die Klägerin ein Gesundheitszeugnis
eines libyschen Tierarztes mit einer Zusatzerklärung der
Kontroll- und Überwachungsgesellschaft vor, woraus sich ergab,
dass die Rinder im libyschen Hafen Bengazi am 28.6.1999 entladen
worden waren, die tierärztliche Kontrolle ihres
Gesundheitszustandes aber erst am 10.7.1999 während des
Aufenthalts der Tiere in der Quarantänestation
durchgeführt worden war. Der Beklagte und Revisionskläger
(das Hauptzollamt - HZA - ) forderte daraufhin mit mehreren
Änderungsbescheiden die gewährten Erstattungen
zuzüglich eines Zuschlags von 15 % zurück; der Einspruch
der Klägerin blieb ohne Erfolg.
Das Finanzgericht (FG) hob die
Änderungsbescheide auf (vgl. SIS 05 02 72) und urteilte, dass
die tierärztliche Kontrolle der ersten Entladung der Tiere im
Bestimmungsdrittland gemäß Art. 3 Abs. 1 und Abs. 3
Anstrich 1 der Verordnung (EG) Nr. 615/98 (VO Nr. 615/98) der
Kommission vom 18.3.1998 mit Durchführungsbestimmungen zur
Ausfuhrerstattungsregelung in Bezug auf den Schutz lebender Rinder
beim Transport (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften -
ABlEG - Nr. L 82/19) zwar entweder noch auf dem Transportmittel
oder zeitnah im unmittelbaren Anschluss an die Entladung habe
durchgeführt werden müssen, dass aber im Streitfall der
zwischen der Entladung und der Untersuchung liegende Zeitraum nicht
so groß gewesen sei, dass verlässliche Feststellungen
über den Zustand der Tiere und die Einhaltung der
tierschutzrechtlichen Bestimmungen nicht mehr hätten getroffen
werden können.
Mit seiner Revision macht das HZA geltend,
dass die Auffassung des FG, dass eine zwölf Tage nach der
Entladung durchgeführte Kontrolle der Tiere den
gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften entspreche, mit dem Wortlaut
des Art. 3 VO Nr. 615/98 nicht zu vereinbaren sei und sowohl einer
systematischen Auslegung der gemeinschaftsrechtlichen
Tierschutzvorschriften als auch einer Auslegung nach ihrem Sinn und
Zweck widerspreche.
Die Klägerin schließt sich der
Ansicht des FG an, dass bei der im Streitfall durchgeführten
Kontrolle noch Rückschlüsse auf den Zustand der Tiere zur
Zeit ihrer Entladung möglich gewesen seien. Auch ergebe sich
aus Art. 3 Abs. 1 Buchst. b der (Nachfolge-)Verordnung (EG) Nr.
639/2003 (VO Nr. 639/2003) der Kommission vom 9.4.2003 mit
Durchführungsbestimmungen zur Verordnung (EG) Nr. 1254/1999
des Rates hinsichtlich des Schutzes lebender Rinder beim Transport
als Voraussetzung für die Gewährung von
Ausfuhrerstattungen (Amtsblatt der Europäischen Union Nr. L
93/10) lediglich, dass die Tiere am Ort der ersten Entladung zu
kontrollieren seien; es gebe keine Regelung, wann diese Kontrolle
stattzufinden habe.
II. Die Revision des HZA ist begründet;
sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung
der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung
- FGO - ). Die angefochtenen Änderungsbescheide sind
rechtmäßig (§ 100 Abs. 1 Satz 1 FGO).
Nach Art. 13 Abs. 9 Unterabs. 2 der Verordnung
(EWG) Nr. 805/68 (VO Nr. 805/68) des Rates vom 27.6.1968 über
die gemeinsame Marktorganisation für Rindfleisch (ABlEG Nr. L
148/24) i.d.F. der Verordnung (EG) Nr. 2634/97 (VO Nr. 2634/97) des
Rates vom 18.12.1997 (ABlEG Nr. L 356/13) setzt die Gewährung
von Erstattungen bei der Ausfuhr lebender Tiere die Einhaltung der
Vorschriften des Gemeinschaftsrechts zum Wohlbefinden der Tiere,
insbesondere zum Schutz der Tiere während des Transports,
voraus. Hierzu gehören, wie sich auch aus dem 1.
Erwägungsgrund zur VO Nr. 2634/97 ergibt, insbesondere die
Regelungen der Richtlinie 91/628/EWG (RL 91/628/EWG) des Rates vom
19.11.1991 über den Schutz von Tieren beim Transport sowie zur
Änderung der Richtlinien 90/425/EWG und 91/496/EWG (ABlEG Nr.
L 340/17). Dementsprechend macht Art. 1 VO Nr. 615/98 die Zahlung
der Ausfuhrerstattungen für lebende Rinder davon
abhängig, dass während des Transports der Tiere bis zu
ihrer ersten Entladung im Bestimmungsdrittland die Vorschriften der
RL 91/628/EWG sowie der VO Nr. 615/98 eingehalten werden. Bedenken
gegen die Gültigkeit dieser Vorschrift bestehen nicht (Urteil
des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften - EuGH - vom
17.1.2008 Rs. C-37/06 und C-58/06, ZfZ 2008, 42 = SIS 08 14 92; so
bereits Senatsurteil vom 17.5.2005 VII R 76/04, BFHE 210, 70, ZfZ
2005, 341 = SIS 05 33 32).
Gemäß Art. 3 Abs. 3 Anstrich 1 VO
Nr. 615/98 hatte somit die Klägerin wegen des Wechsels des
Transportmittels in Koper zur Begründung ihres
Erstattungsanspruchs die in Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 615/98
vorgeschriebene Kontrolle vornehmen zu lassen und nach Art. 5 Abs.
2 Unterabs. 2 Anstrich 2 VO Nr. 615/98 den in Art. 3 Abs. 2 VO Nr.
615/98 vorgesehenen Kontrollbericht eines Tierarztes vorzulegen,
der von einer internationalen Kontroll- und
Überwachungsgesellschaft, die von einem Mitgliedstaat oder von
der Kommission zu diesem Zweck zugelassen wurde, oder von einer
amtlichen Stelle eines Mitgliedstaats beauftragt worden ist (Art. 3
Abs. 1 Unterabs. 2 VO Nr. 615/98). Dies ist zwischen den
Beteiligten nicht im Streit. Streitig ist allein, wann diese
tierärztliche Kontrolle im Bestimmungsdrittland zu erfolgen
hat.
Nach dem Wortlaut des Art. 3 Abs. 1 Unterabs.
1 VO Nr. 615/98, wonach „die erste Entladung im
Bestimmungsdrittland“ zu kontrollieren ist, ist davon
auszugehen, dass die Kontrolle der Tiere beim Entladungsvorgang zu
erfolgen hat; eine Kontrolle, die erst zu einem späteren
Zeitpunkt und an einem anderen Aufenthaltsort der Tiere erfolgt,
kann keine Kontrolle der „Entladung“ sein. Aus
der englischen und der französischen Fassung der VO Nr. 615/98
ergibt sich nichts anderes: Danach ist der Gegenstand der Kontrolle
the „first unloading“ bzw. „le premier
déchargement“.
Für diese Auslegung nach ihrem Wortlaut
sprechen auch die bei der Auslegung zu berücksichtigenden
Ziele der Vorschrift (vgl. zur Auslegung gemeinschaftsrechtlicher
Vorschriften: EuGH-Urteil vom 23.11.2006 Rs. C-300/05, EuGHE 2006,
I-11169, ZfZ 2007, 132 = SIS 07 02 99). Nach dem 1.
Erwägungsgrund der VO Nr. 615/98 sowie nach Art. 13 Abs. 9
Unterabs. 2 VO Nr. 805/68 und Art. 1 VO Nr. 615/98 dienen die
Vorschriften der VO Nr. 615/98 der Einhaltung der
tierschutzrechtlichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts und
damit dem Schutz der Tiere während des Transports bis zu ihrer
ersten Entladung im Bestimmungsdrittland. Nach Art. 2 Abs. 2
Buchst. b RL 91/628/EWG ist der „Transport“
jegliche Beförderung von Tieren mit einem Transportmittel,
einschließlich Ver- und Entladen (vgl. EuGH-Urteil in EuGHE
2006, I-11169, ZfZ 2007, 132 = SIS 07 02 99). Es ist daher
folgerichtig, dass die abschließende Kontrolle, ob die
tierschutzrechtlichen Vorschriften des Gemeinschaftsrechts
„während des Transports der Tiere“ (Art. 1
VO Nr. 615/98) eingehalten worden sind, beim Entladevorgang
stattzufinden hat.
Ob tierärztliche Feststellungen etwaiger
gesundheitlicher Beeinträchtigungen oder eines ansonsten
mangelhaften Zustandes der transportierten Tiere auf die an Bord
des Transportmittels herrschenden unzureichenden Bedingungen
zurückzuführen sind (vgl. Art. 3 Abs. 2 Anstrich 2 VO Nr.
615/98), wird sich im Übrigen nur vor Ort beim Entladevorgang
selbst feststellen lassen, wenn auch das Transportmittel für
eine Inaugenscheinnahme noch zur Verfügung steht und sich
damit z.B. bestimmte Verletzungen der Tiere auf bestimmte
Gegebenheiten der Unterbringung an Bord zurückführen
lassen. Außerdem wird sich die Frage, ob überhaupt
transportbedingte gesundheitliche Beeinträchtigungen
festgestellt werden können, nur dann auf einer sicheren
Grundlage beantworten lassen, wenn die tierärztliche Kontrolle
während des Entladevorgangs oder jedenfalls im unmittelbaren
Anschluss daran stattfindet.
Zwar kann angenommen werden, dass die bei der
Auslegung der Vorschrift zu berücksichtigenden
tierschutzrechtlichen Ziele hinsichtlich der Frage, wie lang die
Zeit zwischen dem Abschluss des Entladevorgangs und der
tierärztlichen Kontrolle der Tiere bemessen sein darf, um noch
von einer Kontrolle im unmittelbaren Anschluss an das Entladen der
Tiere sprechen zu können, einen gewissen Spielraum erlauben.
Bei einem Abstand von zwölf Tagen zwischen dem Entladen der
Tiere am Ende des Transports und ihrer tierärztlichen
Kontrolle besteht aber der aus Gründen einer wirksamen
tierschutzrechtlichen Kontrolle zu fordernde zeitliche Zusammenhang
jedenfalls nicht mehr. Innerhalb eines solchen Zeitraums
können transportbedingte Verletzungen verheilt und
Beeinträchtigungen durch unzureichendes Füttern oder
Tränken oder mangelnde hygienische Verhältnisse
während des Transports wieder ausgeglichen sein oder es
können sogar - entsprechend umgekehrt - gesundheitliche
Beeinträchtigungen hinzugekommen sein, die auf eine
unzureichende Behandlung der Tiere erst im Bestimmungsdrittland
zurückzuführen sind. Das FG hat auch keine im Streitfall
vorliegenden Besonderheiten festgestellt, welche seine Annahme
rechtfertigen könnten, dass trotz der im Abstand von
zwölf Tagen durchgeführten tierärztlichen Kontrolle
verlässliche Feststellungen über den Zustand der Tiere
und die Einhaltung der tierschutzrechtlichen Bestimmungen getroffen
werden konnten.
Die Erwägung des FG, dass eine
tierärztliche Kontrolle der Tiere bereits bei ihrer Entladung
aufgrund der Gegebenheiten an Bord häufig nicht möglich
sein dürfte und dass die Untersuchung deshalb
„zwangsläufig“ erst nach Sortierung und
Verbringung der Tiere in eine Quarantänestation erfolgen
könne, lässt den Bezug zum Streitfall vermissen, weil das
FG zum einen solche seinerzeit bestehenden tatsächlichen
Hindernisse nicht festgestellt, sondern sie offenbar allein
aufgrund der Anzahl der transportierten Tiere unterstellt hat, und
weil zum anderen diese Erwägungen nicht den im Streitfall
zwölftägigen Zeitraum zwischen Entladung und
tierärztlicher Kontrolle erklären können. Auch wenn
es im Einzelfall derartige - auch von Seiten der Klägerin als
denkbar angeführte - Umstände im Bestimmungsland geben
mag, welche einer tierärztlichen Kontrolle beim Entladen der
Tiere oder im unmittelbaren Anschluss daran entgegenstehen, so
rechtfertigt dies gleichwohl nicht eine Auslegung des Art. 3 Abs. 1
Unterabs. 1 VO Nr. 615/98, die einen Abstand von zwölf Tagen
zwischen dem Entladen der Tiere und ihrer tierärztlichen
Kontrolle erlaubt. Vielmehr sieht Art. 5 Abs. 6 VO Nr. 615/98
(jetzt: Art. 4 Abs. 3 VO Nr. 639/2003) für solche Fälle
vor, dass der Ausführer Gründe, die einer Kontrolle bei
der Entladung nach Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 615/98 entgegenstanden und
die ihm nicht anzulasten sind, geltend machen und beantragen kann,
die Einhaltung der Tierschutzrichtlinie während des Transports
mit Hilfe anderer Dokumente nachweisen zu können. Von dieser
Möglichkeit hat die Klägerin im Streitfall aber offenbar
keinen Gebrauch gemacht.
Die Auslegung durch das FG lässt sich
schließlich auch nicht damit rechtfertigen, dass nach Art. 3
Abs. 1 Buchst. b der (Nachfolge-)VO Nr. 639/2003 die Kontrolle der
Tiere „am Ort der ersten Entladung“ zu erfolgen
hat. In Anbetracht der sich aus dem 1. und 3. Erwägungsgrund
der VO Nr. 639/2003 ergebenden Ziele der Verordnung und des
gegenüber Art. 1 VO Nr. 615/98 im Wesentlichen
unverändert gebliebenen Art. 1 VO Nr. 639/2003
(„während des Transports der Tiere bis zu ihrer
ersten Entladung im Bestimmungsdrittland“) ist nicht der
Schluss gerechtfertigt, dass wegen der Formulierung „am
Ort der ersten Entladung“ nunmehr eine tierärztliche
Kontrolle erlaubt ist, die nicht direkt an der konkreten
Entladestelle und damit jedenfalls im unmittelbaren Anschluss an
den Transport, sondern zu einem späteren Zeitpunkt in einer
Quarantänestation durchgeführt wird. Aufgrund einer
solchen Kontrolle könnte der Tierarzt im Übrigen die im
Anhang III der VO Nr. 639/2003 vorgeschriebenen Feststellungen
schwerlich vollständig treffen.
Der Senat hat keinen Zweifel daran, dass Art.
3 Abs. 1 VO Nr. 615/98 einen Abstand von zwölf Tagen zwischen
der Entladung der Tiere im Bestimmungsland und ihrer
tierärztlichen Kontrolle nicht erlaubt, und sieht deshalb
keine Verpflichtung, die Sache dem EuGH zur Vorabentscheidung
vorzulegen (vgl. EuGH-Urteil vom 6.10.1982 Rs. 283/81, EuGHE 1982,
3415, 3430).
Für den streitigen Tiertransport ist nach
alledem die Vorschrift des Art. 3 Abs. 1 VO Nr. 615/98 nicht
eingehalten worden, weshalb der Klägerin gemäß Art.
1 VO Nr. 615/98 kein Anspruch auf Ausfuhrerstattung zusteht und die
ihr als Vorschuss gewährte Erstattung somit zu Recht mit einem
Zuschlag von 15 % zurückgefordert worden ist (Art. 23 Abs. 1
der Verordnung (EWG) Nr. 3665/87 der Kommission vom 27.11.1987
über gemeinsame Durchführungsvorschriften für
Ausfuhrerstattungen bei landwirtschaftlichen Erzeugnissen, ABlEG
Nr. L 351/1).