Zusatzzoll auf US-Waren, EuGH-Vorlage: Ist Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 entgegen seinem Wortlaut dahin auszulegen, dass solche Waren nicht vom Zusatzzoll betroffen sind, die sich nachweislich zum Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzölle auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden und deren Bestimmungsort nicht geändert werden kann? - Urt.; BFH 20.3.2008, VII R 11/07; SIS 08 16 97
I. Die Klägerin und Revisionsbeklagte
(Klägerin) meldete am 5.3.2004 eine aus den Vereinigten
Staaten von Amerika stammende Sendung Landhausdielen aus
Kirschenholz der Unterpos. 4409 20 98 der Kombinierten Nomenklatur,
die in den Vereinigten Staaten am 20.2.2004 zur Verschiffung
verladen worden war, zur Abfertigung zum freien Verkehr an. Der
Beklagte und Revisionskläger (das Hauptzollamt - HZA - )
setzte mit Abgabenbescheid vom selben Tag Einfuhrabgaben
(Zusatzzoll und Einfuhrumsatzsteuer) gegen die Klägerin fest.
Der Zusatzzoll wurde als Wertzoll nach einem Zollsatz von 5 %
gemäß Art. 2 Abs. 1 der Verordnung (EG) Nr. 2193/2003
(VO Nr. 2193/2003) des Rates vom 8.12.2003 zur Einführung
zusätzlicher Zölle auf die Einfuhren bestimmter Waren mit
Ursprung in den Vereinigten Staaten von Amerika (Amtsblatt der
Europäischen Union - ABlEU - Nr. L 328/3) erhoben. Der
Einspruch der Klägerin, der sich allein gegen die Erhebung des
Zusatzzolls richtete, blieb ohne Erfolg.
Auf die hiergegen erhobene Klage hob das
Finanzgericht (FG) den Einfuhrabgabenbescheid insoweit auf, als ein
Zusatzzoll festgesetzt und bei der Festsetzung der
Einfuhrumsatzsteuer berücksichtigt worden war (vgl. SIS 07 17 03). Das FG urteilte, dass die Übergangsregelung in Art. 4
Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 unter Berücksichtigung des 6.
Erwägungsgrundes der VO Nr. 2193/2003 dahin auszulegen sei,
dass kein Zusatzzoll für Waren zu erheben sei, die sich vor
dem erstmaligen Anwendungszeitpunkt der Zusatzzollregelung am
1.3.2004 bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befunden
hätten und deren Bestimmungsort nicht habe geändert
werden können. Im Streitfall seien diese Voraussetzungen
erfüllt.
Mit seiner Revision macht das HZA geltend,
dass Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 nicht entgegen seinem
eindeutigen Wortlaut auszulegen sei.
II. Der Senat setzt das Verfahren aus (§
121 Satz 1 i.V.m. § 74 der Finanzgerichtsordnung) und legt dem
Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (EuGH)
gemäß Art. 234 Abs. 3 des Vertrages zur Gründung
der Europäischen Gemeinschaft die im Leitsatz bezeichnete
Frage zur Vorabentscheidung vor, weil die Auslegung der für
die Entscheidung des Streitfalls maßgeblichen Vorschriften
des Gemeinschaftsrechts Zweifelsfragen aufwirft.
1. Soweit der im Streitfall maßgebliche
Einfuhrzeitpunkt betroffen ist, lautet Art. 2 Abs. 1 VO Nr.
2193/2003:
„Zusätzlich zu den
gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 [Zollkodex]
geltenden Zöllen werden auf die im Anhang dieser Verordnung
aufgeführten Waren mit Ursprung in den Vereinigten Staaten
folgende Wertzölle erhoben:
-
|
5 % vom 1.3.2004 bis 31.3.2004,
(...)“
|
Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 lautet:
„Im Anhang aufgeführte Waren,
die sich nachweislich zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser
Verordnung bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden und
deren Bestimmungsort nicht geändert werden kann, sind nicht
vom Zusatzzoll betroffen.“
Auch die englische und die französische
Sprachfassung des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 nennen als
maßgeblichen Zeitpunkt „the date of entry into force
of this Regulation“ bzw. „la date
d’entrée en vigueur du présent
règlement“.
Der dazugehörige 6. Erwägungsgrund
zur VO Nr. 2193/2003 lautet hingegen:
„Auf Waren, die nachweislich vor dem
Inkrafttreten der Zusatzzölle aus den USA in die Gemeinschaft
ausgeführt worden sind, sollten keine Zusatzzölle erhoben
werden.“
Die entsprechenden Formulierungen in der
englischen und der französischen Sprachfassung dieses
Erwägungsgrundes („the date of first application of
the additional customs duties“ bzw. „la date de
la première application de droits de douane
supplémentaires“) rechtfertigen die Annahme, dass
mit der deutschen Formulierung „Inkrafttreten der
Zusatzzölle“ der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung
der Zusatzzölle gemeint ist.
2. Der Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung war
der 1.3.2004, während der Zeitpunkt des Inkrafttretens der VO
Nr. 2193/2003 der 17.12.2003 war. Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003
und der dazugehörige 6. Erwägungsgrund zur VO Nr.
2193/2003 bezeichnen somit für bereits aus den Vereinigten
Staaten ausgeführte Waren, die bei ihrer Einfuhr nicht vom
Zusatzzoll betroffen sein sollen, unterschiedliche Zeitpunkte.
Diese Diskrepanz erlangt im Streitfall Bedeutung, weil das FG
angenommen hat, dass auf dem Seeweg beförderte Waren sich auf
dem Weg in die Gemeinschaft mit einem nicht änderbaren
Bestimmungsort befinden, wenn sie verladen worden sind und ihr
Bestimmungsort in einem Schiffs-Frachtbrief festgelegt ist. Daraus
folgend hat das FG für den Streitfall festgestellt, dass sich
die Einfuhrwaren der Klägerin, welche unstreitig im Anhang der
VO Nr. 2193/2003 aufgeführt sind, ab dem 20.2.2004 mit nicht
änderbarem Bestimmungsort auf dem Weg in die Gemeinschaft
befanden. Das HZA hat gegen diese Betrachtungsweise keine
Einwendungen erhoben. Der maßgebliche Ausfuhrzeitpunkt lag
somit nach dem Inkrafttreten der VO Nr. 2193/2003, aber vor dem
Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzölle.
3. Der Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 VO Nr.
2193/2003 ist klar und eindeutig; auch der Vergleich mit der
englischen und der französischen Sprachfassung gibt keinen
Anlass zu Zweifeln. Dies spricht dafür, die Vorschrift
gemäß ihrem Wortlaut anzuwenden, zumal dies auch nicht
dem mutmaßlichen Sinn und Zweck der Vorschrift zuwiderliefe.
Wenn man nämlich davon ausgeht, dass diese
Übergangsvorschrift den Importeuren von Waren aus den
Vereinigten Staaten eine verlässliche Grundlage ihrer
Preiskalkulation geben und sie davor schützen sollte, im
Zeitpunkt der Zollanmeldung durch einen zusätzlichen Zoll
überrascht zu werden, der auch nicht mehr zu vermeiden war,
weil sich die Waren bereits auf ihrem Weg in die Gemeinschaft
befanden, so dürfte ein schützenswertes Vertrauen, die
Waren nur nach dem Regelzollsatz verzollen zu müssen, nicht
bestehen, wenn Waren - wie im Streitfall - erst nach dem
Inkrafttreten der VO Nr. 2193/2003 aus den Vereinigten Staaten mit
einem Bestimmungsort in der Gemeinschaft ausgeführt wurden. In
einem solchen Fall konnte nämlich der Importeur anhand der im
Amtsblatt veröffentlichten Verordnung erkennen, ob in dem - in
der Regel vorhersehbaren - Zeitpunkt der Einfuhr seiner aus den
Vereinigten Staaten importierten Waren bereits ein Zusatzzoll
anwendbar war.
4. Gleichwohl bestehen in Anbetracht des 6.
Erwägungsgrundes zur VO Nr. 2193/2003 Zweifel, ob der Wortlaut
des Art. 4 Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 dem Willen des Verordnungsgebers
entspricht.
Die Übergangsvorschrift des Art. 4 Abs. 2
VO Nr. 2193/2003 konnte angesichts des Zeitraums von zweieinhalb
Monaten zwischen dem Inkrafttreten der VO Nr. 2193/2003 und dem
Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung der Zusatzzölle nur einen
geringen Anwendungsbereich haben, denn dass Waren vor dem
17.12.2003 aus den Vereinigten Staaten nach der Gemeinschaft
ausgeführt, jedoch erst nach dem 29.2.2004 in der Gemeinschaft
zur Einfuhr angemeldet werden, konnte allenfalls für Waren in
Betracht kommen, die nach ihrer Ausfuhr aus den Vereinigten Staaten
zunächst in eine Freizone oder ein Freilager in der
Gemeinschaft verbracht und erst später - nach dem 29.2.2004 -
zur Einfuhr angemeldet werden. Allerdings erscheint es auch nicht
ausgeschlossen, dass der Verordnungsgeber bei Erlass der VO Nr.
2193/2003, die am Tag ihrer Veröffentlichung im Amtsblatt in
Kraft treten sollte, nicht absehen konnte, wann diese
Veröffentlichung erfolgen würde, und somit auch nicht
voraussehen konnte, dass die Übergangsvorschrift des Art. 4
Abs. 2 VO Nr. 2193/2003 nur einen derart geringen Anwendungsbereich
haben würde.
Des Weiteren schreiben andere Verordnungen
betreffend Zusatzzölle auf Einfuhrwaren mit Ursprung in den
Vereinigten Staaten, wie die Verordnung (EG) Nr. 1031/2002 des
Rates vom 13.6.2002 (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften
Nr. L 157/8) und die Verordnung (EG) Nr. 673/2005 des Rates vom
25.4.2005 (ABlEU Nr. L 110/1), in ihren Übergangsvorschriften
den Zeitpunkt der jeweiligen „Anwendung“ der
Verordnungen als maßgeblich vor. Es spricht deshalb eine
gewisse Vermutung dafür, dass der Verordnungsgeber ebenso beim
Erlass der VO Nr. 2193/2003 - wie auch der 6. Erwägungsgrund
zur VO Nr. 2193/2003 zu zeigen scheint - mit der Übergangs-
bzw. Vertrauensschutzregelung des Art. 4 Abs. 2 auf die Erhebung
von Zusatzzöllen bei solchen Einfuhrwaren verzichten wollte,
die sich im Zeitpunkt der erstmaligen Anwendung dieser
Zusatzzölle bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft befanden.
Somit könnte es sich bei dem Wortlaut des Art. 4 Abs. 2 VO Nr.
2193/2003 nur um ein Redaktionsversehen in Form einer falschen
Wortwahl handeln, welches durch eine im Amtsblatt zu
veröffentlichende Berichtigung zu korrigieren ist. Eine
entsprechende an die Kommission gerichtete Frage des erkennenden
Senats, ob ein Berichtigungsverfahren eingeleitet oder dies
beabsichtigt ist, hat die Kommission jedoch nicht beantwortet oder
nicht beantworten wollen, sondern gemeint, dass eine
Vorabentscheidung des EuGH zur Auslegung des Gemeinschaftsrechts
einzuholen sei. Deshalb hält es der Senat in Anbetracht der
aufgezeigten Zweifel, ob der Wille des Verordnungsgebers im Text
der Verordnung zutreffend wiedergegeben worden ist, für
erforderlich, dem EuGH die aus dem Leitsatz ersichtliche Frage zu
stellen.